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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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dies darauf zurück, dass er die anderen um gut einen Kopf überragte, und darauf, dass er der Älteste der Gruppe war. Er legte es zwar nicht direkt darauf an, die Anführerrolle zu übernehmen, wehrte sich aber auch nicht dagegen. Es war ein gutes Gefühl, von den anderen geachtet zu werden, in ihren Augen eine Art Held zu sein. So wie Steve McQueen in seinen Filmen. Gegen den waren die heutigen Schauspieler nur unreifes Fallobst. Er hätte sie alle in die Tasche gesteckt. Stevie war einfach der Coolste.
    »Was meinst du?«, wandte Tom sich an Ingo. »War der Ball auf dem Boden oder nicht?«
    Ingo Schröder sah verlegen auf seine Füße, während er sich eifrig hinter dem Ohr kratzte; das tat er immer, wenn er unschlüssig oder nervös war. Er war der Jüngste und vom Umfang her der Kräftigste der kleinen Clique. Seinem Vater gehörte eine der größten Metzgereien in der Gegend, was seiner Ernährung nicht unbedingt zugutekam. Man hätte ihn zwar nicht als dick bezeichnen können, aber von einer künftigen Karriere als Unterwäsche-Model konnte man getrost absehen.
    »Na ja«, meinte er nachdenklich und strich sich mit der freien Hand die roten Locken aus der Stirn, »es steht vier zu vier. Wenn du mich fragst, würde ich den Boden vorziehen.«
    »Du elender Penner!«, schrie Chris sofort, dessen aufbrausendes Temperament wohl seiner italienischen Mutter zuzuschreiben war, der er auch sein tiefschwarzes Haar verdankte. Seine schlechten Augen gingen hingegen auf das Konto seines Vaters. »Du hast doch genau gesehen, dass es nicht so war.«
    »Reg dich ab«, beschwichtigte Tom und sah zu dem breiten Lamellenzaun hinüber, wo Babs gerade Elvis aufhob und zu ihnen zurückgelaufen kam. »Fragen wir doch einfach jemanden, der unparteiisch ist.«
    »Was denn, die?«, protestierte Ingo lautstark. »Die schafft es doch nicht mal, einen Ball zu fangen.«
    Kaum hatte er diesen Satz beendet, traf ihn etwas mit einem hohlen Plob rechts am Kopf, so dass er zurücktaumelte und nach wenigen Schritten auf dem Hintern landete. Mit schmerzverzerrter Miene rieb er sein rechtes Ohr und schaute erstaunt zu Babs hinüber.
    »Werfen kann ich ihn aber ganz gut, findest du nicht?«, sagte sie kokett, woraufhin alle außer Ingo in Gelächter ausbrachen.
    »Jetzt hast du wenigstens einen Grund, dich hinterm Ohr zu kratzen, Blechdach«, meinte Chris und ließ sich grölend ins Gras fallen. »Das war echt grandios, Röckchen!«
    Babs trug eigentlich nie Röcke, doch die Tatsache, dass sie ein Mädchen war, schien Chris völlig auszureichen, um sie so zu nennen.
    »Du dämliche Kuh!«, schrie Ingo. »Hast du sie noch alle?«
    Tom reichte Ingo die Hand und half ihm hoch. »Das sollte dir eine Lehre sein«, meinte er und klang dabei reifer, als man es seinem Alter zugetraut hätte. »Babs ist eine von uns, also solltest du auch ihre Meinung respektieren, klar?«
    Ingo nickte beschämt und rieb sich unter dem anhaltenden Gelächter der anderen noch immer das Gesicht, dessen rechte Hälfte langsam die Farbe seiner Haare anzunehmen begann. »Meinetwegen«, gab er sich geschlagen.
    Alle Blicke waren nun gespannt auf Babs gerichtet, die jedoch nur Augen für Tom hatte. Wenn sie ihn ansah, trat ein Leuchten in diese Augen, so dass das Grün darin noch klarer und kräftiger erschien.
    »Also …« Sie räusperte sich kurz, um den ungewohnt weichen Klang in ihrer Stimme zu überspielen. »Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher. Ich finde, der Treffer sollte wiederholt werden.«
    »Na toll«, zischte Chris. »Nur weil ihr beiden hier noch weiter Händchen halten wollt, soll ich mir einen Hitzschlag holen? Ohne mich, Mann!«
    »Hast du einen besseren Vorschlag?«
    »Und ob ich den habe«, erwiderte Chris wütend. »Ich verpass dem Nachthemd eine, und wir können alle als Sieger nach Hause gehen.«
    »Klappe, Chris!«, riefen alle im Chor.
    »Na schön«, schnaufte er wütend. »Ihr wollt das Scheißtor wiederholen? Da habt ihr es!« Chris stürmte geradewegs auf Elvis zu, der noch immer an der Stelle im Gras lag, wo er nach Ingos unfreiwilligem Kopfball liegen geblieben war, und trat ihn mit aller Kraft in Richtung Tor.
    Der Ball wirbelte in einem viel zu hohen Bogen über Babs und den angrenzenden Zaun hinweg, senkte sich und verschwand schließlich hinter den dichten Lamellen, die das Grundstück dahinter eingrenzten, auf dessen rechter Seite sich die roten Schindeln eines steil ansteigenden Daches erhoben.
    Einen kurzen Moment lang sagte niemand

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