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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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kreischende Lachen war zu hören, das nun völlig Besitz von ihm ergriff. Schreiend wälzte er sich auf dem Boden und presste verzweifelt die Hände gegen die Ohren. Doch es war vergebens.
    Das Licht war nun so grell, dass es alles andere überlagerte. Geblendet kniff er die Augen zusammen und ließ sich auf den Boden zurücksinken, ergab sich der Erinnerung, in der Hoffnung, nie wieder daraus zu erwachen …
    Als er die Augen aufschlug, sah er seine Hände, die über blanken Betonboden wischten. Der graue Lappen, den er umklammerte, roch widerlich nach Erbrochenem. Er tauchte ihn in den roten Wassereimer, neben dem er kniete, und wrang ihn aus, bevor er fortfuhr, sein Missgeschick zu beseitigen. Dabei schmerzte sein rechter Oberschenkel so sehr, dass er fürchtete, sich erneut übergeben zu müssen. An fünf Stellen hatte sich der Lötkolben in sein Fleisch gebrannt. Dicke, wulstige Brandblasen säumten die schwarzen Ränder der Wunden. Die geschwollene Haut darum herum spannte bei jeder Bewegung, ließ den Schmerz in Wellen durch sein Bein fahren, so heftig, dass er glaubte, jeden Moment wieder die Besinnung zu verlieren. Doch er ließ sich nichts anmerken und tat, was der Wächter ihm aufgetragen hatte, aus Angst vor weiterer Bestrafung.
    Trotz der Hitze, die wie brennendes Kerosin durch seinen Oberschenkel strahlte, zitterte er vor Kälte. Noch immer hatte er nur seine Unterhose an. Und obwohl draußen hochsommerliche Temperaturen herrschten, war es in dem Keller kühl. Was das lähmende Gefühl verstärkte, von der Außenwelt abgeschottet zu sein, und ihn gleichzeitig vermuten ließ, dass hier irgendwo ein Kühlgerät lief.
    Durch den Schleier der Schmerzen hindurch vernahm er ein gedämpftes Rumpeln und fuhr zusammen. Bestimmt würde er gleich eine weitere Lehrstunde in Sachen Grausamkeit bekommen. Doch als er den Kopf ein wenig zur Seite drehte, sah er aus dem Augenwinkel, dass der Wächter über die offene Kühltruhe gebeugt stand. Er schien damit beschäftigt zu sein, irgendetwas darin zu bewegen. Etwas offensichtlich Schweres, denn er schnaufte angestrengt. Die Truhe stand in der rechten hinteren Ecke des Kellerraumes, so dass Tom sich fast den Hals verrenken musste, um zu erkennen, was dort geschah. Als er jedoch den Fuß erspähte, der steif über den Rand der Truhe hinausragte, bereute er seine Neugier sogleich und schaute wieder auf den Boden vor seinen Händen.
    Noch ein Kind. Wie viele Leichen hatte dieser Geisteskranke hier unten deponiert?
    Der Wächter keuchte, sein Atem bildete kalte Nebelschwaden über der Kühltruhe. Tom konnte seine Anstrengung förmlich spüren, als er den Leichnam anhob. Ein dumpfes Poltern ertönte.
    Schau nicht hin, ermahnte er sich. Doch genauso, wie seine Neugier ihn zu der Grube im Garten geführt hatte, zwang sie ihn jetzt dazu, den Kopf zu drehen.
    Der gefrorene Leichnam lag in gekrümmter Haltung auf dem Boden. Es war ein Mädchen. Ihre Shorts waren ebenso blau wie die nackten Beine und Füße, die daraus hervorragten. An einigen Stellen hatten sich dunkle Flecken gebildet, die auf beginnende Verwesung deuteten. Sie trug ein gelbes Shirt, das wegen der Kälte aussah, als hätte man es in Stärke gebadet. Ihr Kopf war leicht angewinkelt und seitlich geneigt, so dass es den Anschein hatte, als sehe sie ihn mit ihren bereiften Augen an. Auch sie hatte blonde, zu steifen Zöpfen geflochtene Haare. Tom schätzte das Mädchen auf vier bis fünf Jahre. Ihr gefrorener Leichnam hatte gekrümmt in der Truhe gelegen, und so schaukelte er ein wenig auf dem gewölbten Rücken, wobei die hervorstehenden Wirbel auf dem glatten Betonboden ein unheimliches Geräusch erzeugten.
    Mach weiter, zwang Tom sich und presste den Lappen fester auf den Boden, während das Pochen in seinem Bein zunahm. Tu einfach so, als würde das alles nicht passieren.
    »Das ist Anna«, ertönte es im Hintergrund, und Tom verstand diese Worte als Anweisung, seine Aufmerksamkeit wieder dem Wächter zu widmen. Und obwohl es gegen seinen Willen geschah, gehorchte er, wischte dabei jedoch weiter den Boden auf.
    »Ich wollte ihr nicht wehtun, wirklich nicht.« Der Wächter saß vor dem erstarrten Leichnam, den Rücken gegen die Truhe gelehnt. In seinem Blick lag etwas Trauriges, während sich in seinen feuchten Augen der starre Körper des Mädchens spiegelte. »Sie war so … so zart und zerbrechlich. Ich wollte sie beschützen, weißt du?«
    Tom betrachtete die tiefe Wunde am Hals des Mädchens, die ihren

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