Stille Kuesse sind tief
Kinder das anders?
„Ist es für dich in Ordnung?“, fragte sie Shane. „Oder findest du es merkwürdig, dass deine Mom jetzt wieder verheiratet ist?“
Shane kam zu ihr, und als er in ihrer Nähe war und den Hut abnahm, konnte sie sehen, dass seine Augen vergnügt aufblitzten.
„Seit ich hierher zurückgekommen bin, schlafen sie in einem Bett“, meinte er. „Ich musste ihr Geflüster und Gekicher ertragen, ganz zu schweigen von all dem, was sie sonst noch so tun, worüber ich aber lieber nicht weiter nachdenken will. Im Vergleich dazu ist eine Hochzeit doch geradezu harmlos.“
„Oh, ja, stimmt. Trotzdem, ich finde das romantisch. Dass sie weggelaufen sind, ohne jemandem etwas davon zu erzählen.“ Die Tatsache, dass Glen und May einander gefunden hatten, gab ihr Hoffnung, dass man der Liebe sogar dann begegnen konnte, wenn man sie am wenigsten erwartete.
Sie schaute zu den neuen Pferden hinüber. „Sind die für den Reitunterricht?“
„Ja. Gleich nach deiner Stunde.“ Er sah nicht gerade begeistert aus.
„Du solltest dir ein paar Visitenkarten drucken lassen. Du weißt schon, für die Reitschule, die du aufmachst.“
„Vielen Dank für die Unterstützung.“
Ehe sie noch mehr sagen konnte, kam Khatar um den Stall herumgetrabt. Er trug bereits einen Sattel, doch angesichts der herunterhängenden Zügel vermutete Annabelle, dass er angebunden gewesen war.
„Du bist so ein kluger Hengst“, sagte sie und streckte die Arme nach ihm aus. Das Pferd kam zu ihr und schmiegte seinen großen Kopf an ihre Wange.
Shane murmelte etwas vor sich hin, was sie nicht verstehen konnte. Nur sein: „Ich weiß nicht, wie er das immer schafft, sich loszumachen“ war eindeutig.
„Er ist ein braver Junge.“ Sie kraulte das Pferd hinter den Ohren. „Das heißt also, dass du dich inzwischen damit abgefunden hast, dass ich ihn auf der Parade reite?“
„Ich weiß, wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem man aufhören muss, sich gegen das Unausweichliche zu sträuben.“
Als Annabelle sich umwandte, bemerkte sie das Pony bei Priscilla.
„Oh, wie schön. Sie hat einen neuen Freund.“
„Ich will nicht darüber reden.“
„Was meinst du damit? Das Pony ist doch so süß. So winzig.“
„Es heißt Reno.“
„Guck dir doch mal die kleinen Hufe an. Niedlich.“
Shane murmelte wieder etwas. Die wenigen Worte, die Annabelle verstehen konnte, klangen nicht gerade freundlich.
„Magst du Reno nicht?“
Er machte eine Räuberleiter, um Annabelle in den Sattel zu helfen. „Nein.“
Lächelnd stellte sie den Fuß in seine Hand und griff nach dem Sattel. Khatar half, indem er ganz still stand.
„Aber es ist doch nur ein Pony.“
Shane hob sie hoch, Annabelle schwang ein Bein über den Sattel und ließ sich darauf nieder. Nachdem sie die Zügel in die Hand genommen hatte, beugte sie sich vor und streichelte Khatar.
„Ich hasse Ponys“, erklärte Shane grimmig. „Ich wollte Reno auch gar nicht haben. Der Typ, dem die Reitpferde gehört haben, hat Reno sozusagen als Bonus obendrauf gepackt. Ehe ich ihn zurückschicken konnte, hatte Priscilla ihn quasi schon adoptiert.“
Und selbstverständlich war Reno dann geblieben. Annabelle grinste. Shane mochte seine Fehler haben, aber im Grunde war er herzensgut. Da war ja nicht nur das Pony, sondern auch die kleinen Mädchen, die Reiten lernen wollten, ganz zu schweigen von der stetig wachsenden Menagerie seiner Mutter sowie Khatars Beharren darauf, dass Annabelle seine große Liebe war. Alles in allem hatte Shane in seinem Leben nicht mehr viel zu sagen. Doch statt darauf zu bestehen, dass alle nach seiner Pfeife tanzten, fügte er sich in sein Schicksal und tat, was gut für alle anderen war.
Jetzt nickte er ihr zu, und sie gab Khatar einen kleinen Stups, damit er sich in Gang setzte. Bereitwillig marschierte der Hengst durch das Gatter in den Korral, wo Shane sie erst im Schritt gehen und anschließend traben ließ.
„Lass uns den ersten Teil des Tanzes durchgehen“, sagte er nach einer Weile und deutete auf die Mitte des Korrals.
Um Shane einen Eindruck von dem Tanz zu vermitteln, hatte Annabelle ihm ein paar Bücher geliehen, in denen die Máa-zib-Rituale – und ganz speziell der Tanz des Pferdes – beschrieben worden waren. Gleichzeitig hatte sie ein paar Vorschläge unterbreitet, was Khatar und sie machen könnten. Es war im Grunde relativ simpel, ein paar Schritte über Kreuz, verbunden mit einigen Drehungen. Genug, um die Zuschauer zu
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