Stille mein Sehnen
Sie haben ihn in einer unglaublich schweren Zeit im Stich gelassen.“
„Das behauptet er?“, fragte Steven ungehalten.
„Nein, das sage ich. Ich kenne Luca erst seit vier Wochen, und er war ein wütender, unbeherrschter Mann, als wir uns begegneten. Grace ist im letzten Jahr zum Pflegefall geworden. Luca hat seinen Job aufgegeben, sein Elternhaus verkauft und Grace rund um die Uhr gepflegt, bis er nicht mehr konnte. Dabei verlor er sich selbst. Das hätten Sie ihm ersparen können.“
„Es ist ganz schön dreist, das zu behaupten.“
„Er verlor alle Menschen, die ihm wichtig waren. Zuerst die Kinder, anschließend Sie und nun Grace. Ob sie gesund wird, weiß niemand, und die Kinder kann ich nicht lebendig machen. Aber Sie, Sie könnten wieder sein Freund sein.“
„Und wie stellen Sie sich das vor?“
„Im Moment ist Luca in der Praxis, aber heute Abend ist er im Club.“
„Ich soll ihm bei einer Session zusehen?“
„Sie werden mitbekommen haben, dass Aidan die zweite Etage ausbaut. Luca arbeitet da. Gehen Sie zu ihm, reden Sie mit ihm, bitte.“
Steven schwieg. Seine Miene war unbewegt und stoisch, wie die eines Masters.
„Sie sind mutig, Faith. Ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass Sie Luca an mich verlieren könnten?“
„Die Angst ist da, das gebe ich zu. Doch ihn und mich verbindet etwas, und ich vertraue auf unsere Liebe. Wir durchlebten beide in den letzten Wochen einen Wandel, der uns zusammenschweißt.“
Steven konnte nicht ahnen, was dieser Satz für Faith bedeutete. Sie vertraute Luca, darauf, dass seine Liebe zu ihr stark genug war. Wegen dieser Liebe war sie hier. Weil sie nicht ertrug, dass er litt.
„Luca muss sich verändert haben, wenn Sie ihm so sehr vertrauen. Ich werde über Ihren Vorschlag nachdenken.“
„Hallo.“
Luca blieb fast das Herz stehen, als er hinter sich die vertraute, weiche Stimme hörte. Der Hammer fiel mit einem ohrenbetäubenden Krachen auf den Steinfußboden. Er war nicht in der Lage, sich umzudrehen. Da spürte er eine warme Hand auf seiner Schulter.
„Willst du dich nicht umdrehen, Luca?“
Wie in Zeitlupe wandte er sich um, damit rechnend, dass niemand hinter ihm stand, dass die Hand und die Stimme seiner Fantasie entsprangen. Steven war da, einen Sixpack Bier in der Hand und zaghaft lächelnd: „Ich dachte, du brauchst vielleicht eine Pause.“
„Woher …“ Luca schluckte krampfhaft. „Woher weißt du, dass ich hier bin?“
„Kannst du dir das nicht denken?“
„Faith“, flüsterte er zitternd.
„Sie war heute im Laden.“
Lächelnd schüttelte Luca den Kopf, starrte Steven an, auf die Narbe in dessen schönem Gesicht. Wie unter Zwang hob er die Hand und berührte diese. Sekunden später lagen sie sich in den Armen.
„Es tut mir leid, Steven. Das hätte nicht passieren dürfen.“
„Nein, hätte es nicht, aber was geschehen ist, ist geschehen. Wir können es nicht rückgängig machen.“
Luca spürte die Wärme des vertrauten Körpers, erinnerte sich an die Lust, die sie einander gegeben hatten und löste sich aus Stevens Umarmung.
„Wie geht es dir?“, fragte er unverfänglich und setzte sich auf den Boden. „Hast du das Bier als Deko mitgebracht?“
Grinsend sank Steven neben ihn, reichte ihm eins und stieß mit ihm an.
„Auf einen Neuanfang.“
Luca nickte und leerte die halbe Flasche in einem Zug. Er wusste nicht, wie er sich fühlen sollte.
„Erzähl mir von Faith. Sie ist eine ungewöhnliche Frau.“
„Das ist sie.“ Wie ein Wasserfall sprudelten die Worte aus ihm heraus. Er erzählte von ihrer ersten Begegnung, dem Ausraster im Lager, den Gefühlen, die ihn übermannt hatten, der Session mit Janette, davon, wie er Grace in die Klinik hatte bringen müssen, von Faith, wie sie ihn danach auffing, als er dachte, die Welt würde über ihm zusammenbrechen. Er sprach über die Session mit Lymandt und von vorletzter Nacht. „Ich liebe sie mehr, als ich je einen anderen Menschen geliebt habe. Faith ist das Wunder in meinem Leben. Ohne sie hätte ich die letzten Wochen nicht überstanden.“
„Wow!“
„Du sagst es.“
„Und all das riskiert sie und schickt mich zu dir?“
Luca starrte geradeaus. „Faith riskiert nichts. Ich würde ihr nie wehtun. Du weißt nicht, was es für sie bedeutet, dieses Vertrauen zuzulassen.“
„Für sie? Das verstehe ich wirklich nicht.“
„Faith hat viel durchgemacht. Jahrelang war sie die Gefangene eines Sadisten. Dass sie mir so sehr vertraut, dass sie zu
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