Stille mein Sehnen
Arme, das Gesicht. Letzte Woche haben sie deshalb die Dosis der Beruhigungsmittel erhöht. Seit Donnerstag wird sie über eine Sonde ernährt, da sie die Nahrungsaufnahme verweigert.“ Verzweifelt barg er das Gesicht in den Händen. „Eine Woche zuvor hatte sie noch einen klaren Moment. Ich habe ihr von Faith erzählt, und sie hat mich angelächelt, hat mich mit klarem Blick angesehen.“ Er sah auf. „Ich habe mir das nicht eingebildet! Sie ist noch irgendwo da drin. Ich weiß es!“
Wortlos stand Bill auf, ging zum Telefon und wählte eine Nummer. Er warf Luca einen flüchtigen Blick zu und verließ die Bibliothek.
Mit äußerster Willenskraft drängte Luca die Tränen zurück. Er fühlte sich leer und ausgebrannt. Nicht einmal die Wut, an der er sich in den letzten Monaten festhalten konnte, war noch da.
Er sah sich in der Bibliothek um. Der Raum war spießig und antiquiert – wie der Besitzer des Hauses. Ob Faith in diesem Sessel gesessen hatte? In Gedanken an sie strich er über das weiche Leder der Sessellehne.
Faith! In den letzten Nächten war sie reserviert und abweisend zu ihm gewesen. Es fiel ihm unsagbar schwer, sich von ihr fernzuhalten. In ihrer Nähe fühlte er sich ruhig und ausgeglichen, sah man von der sexuellen Frustration ab. Eine solche Wirkung war bis jetzt noch nie von einer Frau auf ihn übergegangen. Manchmal reichte es ihm, sie zu beobachten und ihr Lächeln zu sehen, obwohl es nicht ihm galt. Die Gäste liebten sie, ihre frische und unkomplizierte Art. Vor allem waren sie scharf auf sie. Ihre Zurückweisung machte alle verrückt. Nicht nur ihn.
Als Bill zurückkam, stand er unruhig auf.
„Ich habe mit Prof. Dr. Cunningham gesprochen. Er ist bereit, am Dienstag ins St. Vincent’s zu kommen und sich deine Schwester anzusehen. Kann er ihr nicht helfen, dann keiner.“
Luca wusste nicht, ob er sich freuen sollte oder nicht. Grace brauchte Hilfe, das war das Einzige, was zählte. „Und wie geht es danach weiter?“
„Das wird Cunningham entscheiden. Er ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Sollte es Hoffnung für sie geben, wird er sie in seiner Klinik aufnehmen.“
„In eine geschlossene Anstalt?“
„Nach dem, was du mir gerade erzählt hast, glaube ich, dass sie da besser aufgehoben ist. Im Pflegeheim wird sie ruhiggestellt. Welcher Arzt behandelt sie?“
„Vor dem Heim Dr. Peters und jetzt Dr. Bishop vom Pflegeheim. Sie sagten, es gehe ihr gut, da, wo sie jetzt ist. Sie würde den Verlust nicht spüren.“
Eine einzelne Träne rollte ihm über die Wange. Er holte tief Luft und straffte die Schultern. Bills prüfender Blick behagte ihm nicht.
„Danke! Ich weiß es zu schätzen, dass du mir hilfst.“
„Ich tue das nicht für dich.“
„Das weiß ich. Trotzdem danke.“
Er war an der Tür, als er Bill sagen hörte: „Ich tue das für Faith.“
Überrascht drehte Luca sich um. „Was hat das Ganze mit Faith zu tun?“
„Du sagtest vorhin, dass Grace vor einem halben Jahr in dieses Pflegeheim gekommen ist. Damals warst du ein harter Master mit eisernem Willen und Selbstkontrolle. Ich habe bemerkt, dass du seitdem keine Sessions mehr hattest und deine Ausstrahlung brutaler wurde. Faith liegt mir sehr am Herzen. Ich will nicht, dass du sie verletzt.“
Luca stieg in seinen Wagen und schloss die Hände krampfhaft ums Lenkrad. Bills Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Er dachte an den Zwischenfall im Lagerraum. Faith war in Panik vor ihm auf die Knie gefallen. In diesem Moment war er so außer sich gewesen, dass er sie angeschrien hatte, statt sie zu beruhigen und ihr die Angst zu nehmen. Trotz allem zeigte Faith offenkundiges Interesse an ihm und suchte seine Nähe. In den vergangenen Nächten verhielt sie sich anders. Sie mied ihn, sprach kaum mit ihm. Was war jetzt anders als letzte Woche?
Luca startete den Wagen und fuhr ziellos durch die Stadt. Irgendwann hielt er vor ihrem Haus an. Sollte er zu ihr gehen und alles erzählen? Wenn sie begriff, warum er wütend war … Resigniert schüttelte er den Kopf. Es gab keine Entschuldigung für sein Verhalten. Die besten Doms im Club rissen sich um sie. Selbst Lymandt wollte mit ihr spielen. Warum sollte sie ausgerechnet ihn erwählen?
Er wollte gerade den Wagen starten, als die Haustür aufging und Faith auf die Straße trat. Sie trug einen schwarzen Trenchcoat und High Heels. Zielstrebig bog sie nach rechts ab, und ihm stockte der Atem. Rechter Hand lag der Club. Hatte sie eine Session?
Seine Hände
Weitere Kostenlose Bücher