Stille mein Sehnen
rausholen können?“
Bill hob den Kopf und sah ihn fragend an. „Was meinst du?“
„Faith. Sie sagte, du hättest sie rausgeholt.“
„Sie hat dir davon erzählt?“
Luca stützte die Ellenbogen auf die Knie und starrte das Muster des Linoleums an. „Sie hat mir alles erzählt. Wie ihr zusammen aufgewachsen seid, sie in die Fänge dieses Typen geraten ist, New York, einfach alles.“
„Sie rief mich an. Bevor sie mir sagen konnte, wo sie ist, war die Verbindung unterbrochen. Als ich endlich bei ihr ankam, war sie mehr tot als lebendig.“ Bill suchte Blickkontakt, und als Luca endlich zu ihm aufsah, sprach er weiter. „Ich bin nicht der Schwächling, für den ihr mich alle haltet. Als ich Faith am Boden liegen sah, in ihrem eigenen Blut und mit der Brandwunde auf dem Rücken, ging ich auf ihn los. Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Wäre dieser Junge nicht gewesen, hätte ich ihn vermutlich mit diesem beschissenen Brandeisen erschlagen. Ich brachte beide in die Cunningham-Klinik. In einem normalen Krankenhaus wäre es zu einer Anzeige gekommen. Ich wollte Faith nicht zumuten, das alles noch einmal durchmachen zu müssen.“
„Und was wurde aus dem Kerl?“
„Faiths Verletzungen sprachen eine eigene Sprache. Dieser Junge schlotterte vor Angst, hätte alles ausgesagt, was ich ihm in den Mund legte. Zudem hatte ich Zeugen, die beschworen, dass ich an besagtem Abend auf einer Feier war. Nein, er konnte keine Schritte gegen mich einleiten. Ich habe ihn nie wiedergesehen, hörte allerdings, er soll nach Paris gegangen sein. Es ist mir egal! Hauptsache, er hält sich von Faith fern.“
„Danke, dass du ihr das Leben gerettet hast!“
„Ich liebe diese Frau. Das habe ich nicht getan, damit sie mit jemand anderem zusammen ist.“
Das verstand Luca gut. Für ihn war es genauso unerträglich, sie mit Aidan zu sehen.
„Nach der Session mit Janette sehe ich die Dinge anders“, sprach Bill weiter. „Ich werde Faith immer lieben, das kann ich nicht abstellen. In einem hatte sie jedoch recht: Wir würden zusammen nicht glücklich werden. Ich wünsche mir eine Familie und Kinder, ein ruhiges, beschauliches Leben und jetzt noch diese Unterwerfungssache. Damit muss ich erst mal klarkommen. Nein, Faith und ich passen nicht zusammen. Ich habe verdammt lange gebraucht, um das zu begreifen.“
„Will Faith Familie und Kinder?“
„Willst du etwa Kinder?“
Luca sah zu der Tür, die zu Graces Zimmer führte.
„Nein, nicht mehr. Grace ist alles, was von meiner Familie übrig ist. Ich war so stolz, als ich Patenonkel für ihre Söhne sein durfte. Auf einen Schlag war nichts mehr von dieser Welt da. Diesen Schmerz will ich nie wieder fühlen müssen. Wenn ich sie jetzt auch noch verliere …“
In diesem Moment öffnete Prof. Cunningham die Tür. Luca sprang heftig vom Stuhl. Dieser flog quer durch den Gang, doch er schenkte dem keine Beachtung, traute sich nicht, den Arzt zu fragen, wie es jetzt weiterging. In seinem Kopf herrschte gähnende Leere.
„Mr. Jones, ich bin zuversichtlich, Ihrer Schwester helfen zu können, aber es wird ein langer Weg. Sie hätten vor zwei Jahren zu mir kommen sollen.“
Tränen brannten in Lucas Augen, als er Cunninghams Worte begriff. „Sie meinen, es gibt Hoffnung?“
„Ja, Mr. Jones. Ich habe bereits in der Klinik angerufen. In einer halben Stunde wird man ihre Schwester abholen.“ Wohlwollend legte der Arzt eine Hand auf seine Schulter. „Es wird lange dauern, doch ich hole sie zurück.“
Mit letzter Beherrschung fragte er den Arzt: „Kann ich zu ihr?“
„Natürlich! Begleiten Sie Ihre Schwester. Ich möchte Sie …“, Cunningham sah auf die Uhr, „sagen wir in einer Stunde, in meinem Büro sehen. Als Vormund Ihrer Schwester müssen Sie die Papiere unterschreiben.“
Luca nickte. Seine Kehle war wie zugeschnürt.
Grace saß teilnahmslos in ihrem Stuhl und starrte aus dem Fenster, als er zu ihr trat. Er sank vor ihr auf die Knie, bettete den Kopf in ihren Schoß und ließ den Tränen freien Lauf. Sie würde zu ihm zurückkehren.
Seufzend legte Bill die Brille auf den Schreibtisch und rieb sich die Nasenwurzel. Er hätte den Nachmittag freinehmen und nicht in die Praxis gehen sollen. Die Rechnungen verschwammen vor seinem Blick, er konnte seine Gedanken nicht ablenken. Was für ein Tag!
Luca Jones … Eigentlich bildete er sich auf seine Menschenkenntnis etwas ein, aber dieser Mann überraschte ihn. Wie er seine Schwester auf den Arm genommen, sie zum
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