Stille mein Sehnen
Busfahrer hatte die Vorfahrt missachtet und den Wagen frontal erwischt. Paul und Danny waren sofort tot. Peter starb einen Tag später in den Armen seiner Mutter. Die Jungs waren gerade vier Jahre alt.
Es fühlte sich an, als würde die Welt aufhören, sich zu drehen. Grace war wie in Trance und verlor den Bezug zur Realität. Jeden Tag bin ich nach der Arbeit zu ihr gegangen. Irgendwann erzählte sie mir, dass sie die Jungs in der Vorschule angemeldet hätte. Erst begriff ich nicht, was das bedeutet. Es wurde schlimmer. Die wachen Momente wurden zunehmend weniger, sie lebte in einer Fantasiewelt. Ich gab meine Arbeit auf, nahm sie zu mir, wusch, wickelte, fütterte sie, erzählte von der Welt hier draußen. Irgendwann wurde das Geld knapp, und ich verkaufte unser Elternhaus. Einen Teil investierte ich in die Praxis und bezahlte Schulden, Aidan brauchte Geld für den Club. Irgendwie dachte ich, sie wacht eines Tages aus diesem Albtraum auf und alles ist wie früher, aber das wird nicht geschehen. Es wird nie wieder wie früher sein.“
Ein gequältes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. Es zerriss Faith das Herz, diese Verzweiflung zu sehen. Könnte ich ihm doch nur helfen.
„Es ist sieben Monate her, da habe ich begriffen, dass ich das alles nicht mehr schaffe. Ich suchte ein Heim, wo ich sie jederzeit besuchen konnte. Mein Gott, ich war so egoistisch. Die Vorstellung, dass sie in eine Anstalt muss, machte mich schier wahnsinnig. Ich wollte sie nicht verlieren. Wut und das Gefühl, versagt zu haben, zermürbten mich. Ich konnte das nicht mehr unter Kontrolle halten. Immer öfter bin ich ausgerastet. Erst haben wir Paul und die Kinder verloren, anschließend habe ich Grace verloren und letztendlich mich selbst. Ich weiß nicht, wie es so weit kommen konnte. In dem Lagerraum …“
Augenblicklich legte Faith ihm einen Finger auf die Lippen. „Schhhht. Darüber musst du dir keine Gedanken machen. Das ist Vergangenheit.“
„Nein, Faith, ich will es dir erklären. Aidan hatte mir kurz zuvor den Geldhahn zugedreht. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Wärst du nicht da gewesen, hätte ich vermutlich das ganze Lager kurz und klein geschlagen. Als du zitternd vor mir auf die Knie sankst … In deinen Augen stand Angst, und dennoch jagte Verlangen nach dir durch meine Adern.“
Er hielt sich an ihr fest und verbarg das Gesicht an ihrem Hals. Sie hörte das Schluchzen und spürte die Nässe seiner Tränen durch ihr T-Shirt sickern. Sie ließ ihm ein paar Minuten Zeit, um sich zu beruhigen, dann flüsterte sie leise seinen Namen.
„Luca! … Luca, bitte sieh mich an!“
Widerwillig hob er den Kopf. Seine Augen blickten sie unendlich traurig an.
„Ich bin für dich da.“
„Wie kannst du mich überhaupt ertragen? Ich habe auf ganzer Linie versagt.“
„Das stimmt nicht. Ich kenne niemanden, der sich für seine Schwester zwei Jahre lang aufgeopfert hätte. Du hast deine Existenz für sie aufs Spiel gesetzt, alles gegeben, ohne Hilfe an deiner Seite zu haben. Du hast nicht versagt, Luca.“ Zärtlich streichelte sie seine Wange. „Ich kenne Prof. Cunningham. Er ist der beste Psychologe, den es gibt. Er wird deine Schwester zurückbringen. Er schafft das!“
„Ich weiß, dass du in seiner Klinik warst.“
„Ja, das war ich. Du musst wissen, nicht Bill hat mir das Leben gerettet, sondern er. Der Professor gab mir eine Hoffnung, die ich verloren glaubte. Vertrau ihm! Er wird Grace zurückholen.“ Faiths Hände lagen auf seinem Gesicht, und sie sah ihn eindringlich an, wollte ihm Hoffnung geben, den Glauben an eine Zukunft. Ausgerechnet sie!
Ihre Blicke hielten einander fest, und plötzlich war sie nicht mehr in der Lage, gleichmäßig zu atmen. Ihr Herz schlug bis zum Hals, als seine Saphiraugen sich in ihre Seele bohrten. In diesem Moment gab es nichts von Bedeutung, nicht Karl, nicht den Professor, keine Grace oder Faiths Ängste. Tief in ihr drin brach etwas auf. Sie hatte das Gefühl, alles wäre möglich – alles –, sogar glücklich zu werden. Unentwegt starrte sie auf Lucas Lippen, wollte sie berühren, von ihnen berührt werden – überall.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis seine die ihren trafen. Sein Mund war weich, warm und sanft – so unendlich sanft. Ihre Zungen spielten miteinander und erkundeten den anderen. Zögerlich, als fürchtete er, sie zu verschrecken, drang Luca in ihre Mundhöhle vor. Faith versank in seinen Zärtlichkeiten und gab sich diesen vollkommen hin. Luca
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