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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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wiederholte: „Nein, nein, kein Taliban, nein, nein!“
    In einer fließenden Bewegung zog Tyrel sein Messer hervor und begann, ihm den Bart abzutrennen. Die Schreie wurden lauter, bevor sie verstummten und nur noch wimmernde Laute aus dem jetzt kahlen Mund des Mannes drangen. Als Tyrel fertig war, stand er auf und Jakob sah, dass er überlegte – überlegte, was jetzt zu tun sei.
    Jakob hoffte inständig, dass sie endlich gehen würden, aber seine Hoffnung wurde zerstört, als Tyrel langsam zu den Frauen und Kindern herüberging.
    „Geh ein Stück zurück, Atwood! Fletch, sag ihm, dass ich en tschlossen bin, das durchzuziehen!“
    Jakob spürte, wie er zu zittern begann, und presste seine Hand gegen den Körper, um es zu verbergen. Während Tyrel eine der Fra uen zu sich hochzog und ihr das Kopftuch hinunterriss, hörte Jakob hinter sich das erstickte Aufbegehren der Männer. Sein Blick blieb an einem der Kinder hängen. Ein kleiner Junge, höchstens sechs Jahre alt. Sein Blick war starr gegen die gegenüberliegende Wand gerichtet und sein Körper schaukelte monoton vor und zurück, während Jakob Tyrel neben sich schreien hörte. Die Schlafanzughose des Kleinen zeigte eine deutliche Dunkelfärbung und der penetrante Geruch von Urin stieg Jakob in die Nase. Er schluckte mehrmals trocken, bevor der Drang sich zu erbrechen verflog. In diesem Moment wünschte Jakob nichts mehr, als diesem Jungen die Angst zu nehmen, aber stattdessen blieb er stumm stehen und starrte ihn nur an – starrte auf diese unwirkliche Szene.
    „Los, Atwood, wir sind hier fertig! Wir haben alles, was wir bra uchen. Ich wusste, er würde uns irgendwann sagen, was wir wissen wollen!“ Tyrel schlug ihm freundschaftlich gegen die Schulter und riss ihn damit aus seiner Erstarrung. Sein Blick löste sich von dem kleinen Jungen und er nahm verwirrt wahr, dass sie dabei waren, abzuziehen. Jakob stolperte hinter Tyrel und Clark her und atmete erleichtert auf, als kühlere, mit Sand gesättigte Nachtluft seine Lungen traf. Er sah Connor und Wheathers etwas abseits stehen und eine Zigarette rauchen. Einige der Männer verstauten die Ausrüstung auf den Humvees. Es schien, als wäre dieser Alptraum da drin gerade nicht passiert. Jakob wusste, wie diese Menschen in ihrer Heimat genannt wurden – Terroristen, Monster und Mörder. Aber er war sich schmerzlich bewusst, dass alles, was ihn im Moment von dieser Sorte Menschen unterschied, die Seite war, für die sie kämpften. Und diese Menschen hatten noch nicht einmal das getan. Sie hatten nicht gekämpft. Sie hatten Angst gehabt, nackte Angst vor ihnen.
    „Alles in Ordnung bei dir, Atwood?“ Tyrel erschien neben ihm. Ein sanftes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er wirkte entspannt, wie ein durchschnittlicher amerikanischer Typ mit seinen verwusche lten, blonden Haaren, dem beeindruckend trainierten Körper und den kleinen Lachfältchen um die Augen. Nichts erinnerte an den Mann, der eben ein ganzes Haus dominiert und deren Bewohner verängstigt hatte. Er hatte Jakob Angst gemacht. Jetzt war er wieder Ben, den jeder hier nur Tyrel nannte, wie es auf die linke Brust seiner Uniform gestickt war. Tyrel, mit dem man gut pokern konnte, Tyrel, der ständig dreckige Witze erzählte und Tyrel, der gerne von seiner Freundin sprach, die im dritten Monat schwanger war und die er in diesem Herbst heiraten wollte.
    Jakob atmete tief durch. „Nein, geht schon.“ Er spürte, wie er sich an der Lüge fast verschluckte.
    Tyrel sah in eindringlich an. „Bist du sicher?“
    Jakob zögerte. „Nein, wenn ich ehrlich bin. Ich weiß einfach nicht, ob das da drin nötig war. Bist du sicher, dass sie wirklich etwas wus sten? Sie hatten Angst. Das war nicht richtig!“
    Tyrels Körper straffte sich und er kniff die Augen ein wenig z usammen, als würde es ihm so leichter fallen, Jakob einzuschätzen. „Weißt du, es ist nicht so, dass es mir besonders gefallen würde, diese Dinge zu tun, aber diese Männer hatten wichtige Informationen über den Verbleib von Waffen. Waffen, die schon morgen gegen dich oder mich oder irgendjemand anderen eingesetzt werden könnten. Wenn es also heißt, ihnen Angst einzujagen oder morgen draufzugehen, dann fällt mir meine Entscheidung nicht besonders schwer, und du solltest lernen, damit zurechtzukommen. In deinem Interesse und in dem Interesse deiner Kameraden! Wir sind hier im Krieg, falls es dir entgangen ist. Am Ende zählt nur das Resultat!“ Er grinste siegessicher, nickte Jakob

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