Stille Seele (German Edition)
meinetwegen.“
Nachdenklich betrachtete Stan Jakobs leicht heruntergekommene Gestalt und seinen müden Ausdruck im Gesicht. „Ich glaube, Will würde dich hier auch ohne Papiere arbeiten lassen. Ich meine nur, bis du dich ein bisschen erholt hast.“ Er nickte, als wäre er sehr zufrieden mit sich und seinem Lösungsvorschlag, und betrat im nächsten Augenblick polternd die Veranda des Pubs. „Jetzt komm schon, Jakob! Wie heißt du eigentlich weiter, Jakob aus Amerika?“
Die Antwort kam automatisch. „Jakob At...!“ Jakob zuckte zusa mmen, räusperte sich und wiederholte etwas leiser. „Jakob Atkins!“ Bei dem Nachnamen senkte er den Blick und starrte auf die Verandastufen vor sich. Es fühlte sich nach einem weiteren Verrat an, nach Connors Leben nun auch noch seinen Nachnamen zu nehmen. Er musste in Zukunft besser vorbereitet sein, wenn er nicht auffallen wollte. Stan zu täuschen, der scheinbar aus Prinzip das Gute im Menschen sehen wollte, war eine Sache, aber andere Leute würden sich nicht so leicht täuschen lassen. Jakob seufzte leise und folgte Stan, der bereits durch die Tür in dem Halbdunkeln des Pubs verschwunden war.
„Hi Will, hast du mal ein kühles Bier für mich?“ Stan setzte sich auf einen Barhocker, wobei er sich nicht anstrengen musste, um die Höhe der Sitzfläche zu erreichen.
William kam vom anderen Ende der langgezogenen Bar und grüßte, indem er sich gegen die Stirn tippte. Während er bereits ein Bier zapfte, fügte er mit einem amüsierten Blick auf Jakob hinzu: „Wen hast du denn da im Schlepptau?“ Er lachte leise in sich hinein. „Diesmal einen Zweibeiner? Keine verletzte Katze oder Hund?“ Mit einem Grinsen stellte er das Bier auf einen Untersetzer vor Stan und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab, das im Bund seiner Schürze steckte. Er war etwa im gleichen Alter wie Stan, sah aber im Gegensatz zu ihm aus, als würde er regelmäßig Sport betreiben. Sein Körper war muskulös, aber athletisch, und sein Gesichtsausdruck wirkte warm und freundlich.
Jakob sah, wie Stan das Gesicht zu einer schiefen Grimasse verzog, aber nichts zu seiner Entschuldigung sagte. Es schien, als wäre Jakob nicht das erste in Not geratene Lebewesen, das Stan in seinem Leben aufgelesen und mit in die Stadt gebracht hatte.
Mit einem Blick in Jakobs Richtung deutete William auf ihn. „Was darf es für dich sein?“
Jakob senkte beschämt seinen Blick. Er durfte das wenige Geld nicht einfach ausgeben. Für einen Notgroschen war es bereits erschr eckend wenig und trotzdem überlegte er ernsthaft, ob er sich einen Drink bestellen sollte, nur um kein Aufsehen zu erregen. Er hatte Durst und William betrachtete ihn bereits zweifelnd, also wühlte Jakob umständlich in seiner Hosentasche. „Eine Cola, bitte!“
„Cola?“ Stan brummte angewidert auf und schüttelte verständnislos den Kopf. „Du bist doch schon einundzwanzig, oder nicht? Cola!“ Wieder schüttelte er den Kopf.
„Ja, ich bin einundzwanzig, aber ich trinke nicht!“ Jakob zog sich einen Barhocker unter dem Tresen hervor und kletterte hinauf. Im Vergleich zu Stan sah es bei ihm eher wie die Besteigung des Mount Everest aus, obwohl niemand behaupten konnte, er wäre mit seinen ein Meter fünfundachtzig klein.
Stan sah ihn ungläubig an. „Nie?“
Jakob schmunzelte. „Nein, nie!“ Er nahm einen tiefen Schluck von seiner herrlich kühlen Cola und spülte damit den Geschmack abgestandenen Wassers fort, das seit Wochen sein einziges Getränk dargestellt hatte.
„Na, ist ja dein Ding, aber du verpasst was!“ Er leerte sein Glas und gab William ein Zeichen, dass er noch ein weiteres Bier wünschte. „Sag mal, Will, brauchst du nicht noch Hilfe hier?“ Stan machte eine ausladende Handbewegung, die den gesamten Barraum inklusive Tanzfläche einschloss. Mit einem Kopfnicken zu Jakob gab er Wi lliam zu verstehen, dass er der Grund war, warum er fragte.
„Stan!“ William schüttelte den Kopf. „Stan, Stan, Stan, ich kann nicht jeden Jungen anstellen, den du mir hier anschleppst. Die meisten gehen nach ein paar Tagen wieder und machen mehr Arbeit, als dass sie helfen, das weißt du!“
Stan drückte Jakobs muskulösen Oberarm. „Aber der hier sieht doch sehr tüchtig aus, und er trinkt nicht!“
William musterte Jakob prüfend und Jakob hatte das Gefühl, sich auf einem Viehmarkt zu befinden und selbst gleich zur Versteigerung zu stehen. Er holte gerade Luft, um Stan zu bremsen, als William sich an ihn
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