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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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„Warum hast du es ihr nicht gesagt?“
    „Ich hatte Angst, sie würden es nicht verstehen. Dad wird es nicht verstehen!“
    Evas Antwort kam prompt. „Er liebt dich, Jakob!“
    „Ja!“ Wieder setzte betretene Stille ein.
    „Kann ich dir helfen?“ Seine Großmutter klang hilflos.
    „Ganz ehrlich? Das Gespräch hat schon geholfen, aber ich denke nicht, dass du außerdem etwas für mich tun kannst. Ich habe mich ziemlich tief reingeritten. Vielleicht könntest du Mama sagen, dass es mir gut geht!“
    „Sicher! Geht es dir denn wirklich gut?“
    Jakob schwieg eine Spur zu lange, bevor er lahm erwiderte: „Ja!“ Nach einer kurzen Pause, in der er seine Lippen befeuchtete, fügte er hinzu: „Ich werde mich eine Zeit lang nicht melden.“ In diesem M oment wünschte er sich, er hätte sich entschieden, in Deutschland unterzutauchen, aber er wusste, dass das unmöglich gewesen wäre. Das Land war zu klein, zu eng besiedelt, die Bürokratie zu geradlinig, um einfach unter dem Radar zu verschwinden. Er wäre mit Sicherheit aufgeflogen. Und außer seiner Großmutter kannte er auch dort niemanden.
    „Ich bin hier, solltest du doch irgendwann den Wunsch haben, mit jemandem zu reden!“
    Jakob nickte stumm, obwohl er wusste, dass sie es unmöglich sehen konnte. Brüchig fügte er hinzu: „Danke!“ Und bevor sie etwas erwidern konnte, hängte er den Hörer ein, nahm seine Taschen und setzte seinen Weg fort.
     
     
     
     
    3. Oktober 2005, Marble Hills, nördliches Manitoba
     
     
     
    Marble Hills war eine wirklich kleine Stadt, aber sie gefiel Jakob von dem Moment an, als er sie knappe drei Monate nach seiner Ei nreise nach Kanada vom Highway 391 aus sah. Sie lag eingebettet in eine Senke, zwischen dichten Tannenwäldern, mit hübschen kleinen Häuschen und einem großen Gebäudekomplex im Zentrum. Sie wirkte friedlich und einladend – so, als wäre es leicht, hier zur Ruhe zu kommen und neu anzufangen. Jakob war circa achthundert Kilometer mit dem Zug Richtung Norden und dann per Anhalter weiter über die kleinen Dörfer gefahren. Dieser Ort war nicht nur perfekt, weil sein Gefühl ihm das sagte, sondern auch, weil es keine direkte Verbindung zu seiner Heimat gab. Das war zum einen wichtig, weil er Gefahr gelaufen wäre, sich irgendwann selbst in den nächstbesten Zug zu setzen, sobald das Heimweh zu groß werden würde, und zum anderen, weil er Angst hatte, dass seinen möglichen Verfolgern eine direkte Verbindung geholfen hätte, ihn aufzuspüren. Nachdenklich stand er vor dem Ortsschild, das eine Gesamtpopulation von gerade einmal 1278 Einwohnern angab, als ein schwarzer Pickup neben ihm hielt.
    „Kann ich Ihnen helfen?“ Ein bärtiger Mann, hoch in den Fünfz igern, lächelte ihn freundlich an und quälte sich und seinen beachtlichen Bauch hinter dem Lenkrad hervor. Seine Körpergröße und sein muskulös-übergewichtiger Körper hätten einschüchternd wirken können, hätte er Jakob nicht an einen gutmütigen Seebären erinnert. Unwillkürlich zeichnete sich ein schwaches Lächeln auf Jakobs Gesicht ab. Dann blickte er zu dem kleinen Städtchen hinunter und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Nein, danke, ich denke nicht. Ich bin nur auf der Durchreise!“
    Der Bärtige schmunzelte. „Das haben schon so einige vor dir gesagt und sind doch geblieben. Unser Städtchen ist das schönste in ganz Kanada.“ Er grinste selbstbewusst, als wäre dies allein sein Verdienst. Dann runzelte er zerknirscht die Stirn. „Da erzähle ich dir, wie toll unsere Stadt ist, und stelle mich dir noch nicht einmal vor. So etwas Unhöfliches. Ich bin Stanley Robbet.“ Er hielt Jakob seine fleischige Hand entgegen, ergriff Jakobs und schüttelte sie wenig später mit einer Intensität, dass Jakob sich sicher war, alle Knochen darin müs sten gebrochen sein. Dazu lachte er dröhnend und zeigte auf die zwei Taschen, die bei Jakobs Füßen standen.
    „Also was ist, soll ich dich mitnehmen? Du hast doch bestimmt keine Lust, die den ganzen Tag durch diese Affenhitze zu schleppen! Ist wirklich ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit!“ Er fuhr sich über den verschwitzten Nacken, griff, ohne eine Antwort abzuwarten, zu und legte sie vorsichtig und mit einer Leichtigkeit auf die offene Ladefläche seines Wagens, die Jakob ihm so nicht zugetraut hätte.
    Jakob hatte sich von dem Moment, als er das Städtchen erblickt hatte, gewünscht, dort bleiben zu können. Zumindest vorerst. Das Problem war nur, dass es gerade in einer so

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