Stille Seele (German Edition)
wendete.
William reichte ihm die Hand. „Ich bin Will! Hast du Papiere? Und wie lange hast du vor zu bleiben?“
Jakob senkte den Blick. „Ich, also … man hat mir den Rucksack mit meinen Papieren geklaut, aber sobald ich etwas verdient habe, werde ich sie neu beantragen, und bleiben würde ich, solange es hier Arbeit für mich gibt!“ Obwohl Jakob das nur sagte, weil er den Job haben wollte – haben musste, wünschte er sich, es würde der Wahrheit entsprechen. William schien ein kritischer Mensch zu sein, aber in se inem Gesicht lagen Wärme und Herzlichkeit, und Stan hatte Jakob bereits jetzt in sein Herz geschlossen. Er seufzte.
„Warum trinkst du nicht?“
Jakob zuckte irritiert zusammen. Auf diese Frage war er nicht vo rbereitet gewesen. Fragend blickte er William an.
„Ich möchte wissen, warum du nicht trinkst? Entweder erzählst du Märchen oder du meinst das ernst, und dann wüsste ich gerne den Grund! Immerhin willst du in einer Bar arbeiten!“
Jetzt wandte auch Stan sich Jakob zu und vergaß dabei sogar, sein Bier weiterzutrinken.
Zerknirscht gab Jakob zu: „Es gab ‘ne Zeit, da habe ich es nicht so im Griff gehabt. Nicht sehr schlimm, aber seitdem ich beschlossen habe, es sein zu lassen, trinke ich eben gar nicht mehr!“ Jakobs Sti mme klang leise, aber bestimmt.
Mit einem Seufzer stieß William die Luft aus seinen Lungen. „Es tut mir leid, Junge, aber du hast keine Papiere und bei deiner Vorg eschichte ausgerechnet hier zu arbeiten, dürfte schwieriger sein, als du jetzt denkst!“
Jakob wusste, dass er dabei war zu verlieren, und auf eine mer kwürdige Weise störte ihn das mehr, als es das hätte tun sollen. Er wollte hier bleiben. Irgendetwas sagte ihm, dass dieser Ort sein neues Zuhause sein könnte, auch wenn es schwer sein würde, seine Geschichte ohne die Anonymität einer Großstadt aufrechtzuerhalten. Vielleicht klammerte er sich auch so sehr an diese Chance, weil er instinktiv wusste, dass ihm eine solche Anonymität endgültig das Genick brechen würde. Jakob spürte, wie sich sein tief verborgener Kampfgeist zurück an die Oberfläche kämpfte. Mit einer entschiedenen Geste schob er sein Glas beiseite. „Versuch es! Was hast du zu verlieren? Stan hat mir gesagt, dass heute Abend ein großes Fest stattfindet. Du wirst jede Hand brauchen können, dann siehst du, ob ich eine Hilfe bin. Im schlechtesten Fall schmeißt du mich nach heute Abend raus, aber das wirst du nicht.“ Er klang überzeugter, als er es in Wirklichkeit war, und dennoch hielt er Williams Blick stand.
William zog schmunzelnd eine Augenbraue nach oben. „Werde ich nicht?“
„Nein!“ Ein breites Grinsen schob sich über Jakobs Gesicht, als er merkte, dass er vorerst gewonnen hatte.
„Du kannst deine Sachen erst einmal hier im Lagerraum lassen und später ins Motel bringen. Ein ganz gutes liegt etwa zwei Meilen die Straße runter. Wenn es dir recht ist, bräuchte ich dich schon jetzt sofort. Meine Tochter steht mit einem Ausschank auf dem Festplatz und braucht dringend Nachschub.“ William deutete mit dem Daumen über seine Schulter, wo verschiedene Getränke bereitstanden.
Jakob nickte, schmiss seine Taschen durch die offenstehende Tür in den durch eine Neonlampe erhellten Lagerraum und atmete tief durch. „Von mir aus kann es losgehen!“
„Hier geht gleich das normale Tagesgeschäft los!“ Mit einem Blick auf seine Armbanduhr nickte er und fuhr dann fort. „Ich werde also hier bleiben. Vor dem Haus steht ein grauer Pickup. Du kannst die Sachen auf die Ladefläche stapeln und dann zum Platz bringen.“ Er deutete auf mehrere Fässer Bier und Kisten voll Softdrinks sowie einige Flaschen Whiskey und Rum. „Hast du gesehen, wo es ist, als ihr hergekommen seid?“
Jakob nickte.
„Okay, die Band fängt bald an zu spielen, dann wird es da richtig voll. Wäre gut, wenn du es vorher schaffst!“ Er ließ einen Schlüssel vor Jakobs Nase hin- und herschwenken und kniff dabei ein Auge kritisch zusammen. „‘nen Führerschein hast du aber, oder?“
„Ja, habe ich. Schon seit fast fünf Jahren. Ich kann fahren!“ Er packte den Schlüssel und nach kurzem Zögern und einem letzten Blick, der wohl den Anspruch hatte, furchteinflößend zu sein, ließ William den Schlüssel los.
„Bring mir meinen Wagen heil wieder! Und ich merke, wenn etwas fehlt!“ Er schüttelte den Kopf, als könne er selbst nicht glauben, dass er seine Waren und sein Auto einem Wildfremden anvertraute, sah einmal
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