Stille Seele (German Edition)
ihre Schulterblätter und war mit einem losen Haargummi im Nacken zusammengebunden. Innerhalb weniger Sekundenbruchteile hatte sie sich wieder zurückgedreht und zwei Gläser Limonade über den Tresen gereicht. Obwohl sie nicht wirklich unfreundlich klang, spürte Jakob eine deutliche, kühle Distanz in ihrer Stimme. „Und du bist wer genau?“
Jakob setzte das Fass ab und trat dichter zu ihr heran. „Ich bin J akob Atkins!“ Mit jedem Mal, dass er den Namen aussprach, ging es etwas leichter, aber das unangenehme Schuldgefühl durchzog nach wie vor seine Eingeweide. Es war einfach nicht richtig.
Sie drehte sich um und starrte ihn an, ergriff aber nicht seine ausg estreckte Hand. „Wenn ich ehrlich bin, ist mir egal, wer du bist. Anscheinend hat dich mein Vater hergeschickt, um Nachschub zu bringen, also wenn du so reizend wärst, genau das zu tun, anstatt mir im Weg herumzustehen?“ Ihre Stimme klang zynisch und dennoch irritierten ihn ihre geschürzten Lippen und die tiefen dunklen Augen. Es dauerte einen Moment, bevor er realisierte, dass sie genervt darauf wartete, dass er ihr Platz machte. Unsicher machte er einen großen Schritt nach hinten und wäre fast gefallen, als sie sich an ihm vorbei drängte. Ihr Körper war schmal und zierlich, aber dennoch sportlich und durchtrainiert. Er war sich sicher, dass sie sehr zäh war, und das nicht nur auf verbaler Ebene. Eben hob sie eine der Getränkekisten auf, die im hinteren Teil des Verkaufstandes standen, und trug sie in Richtung Kühlschrank. Dabei bog sich ihr Körper wie ein morscher Baum bei zu starkem Wind. Es sah aus, als würde sie unter der Last jeden Moment zusammenbrechen. Eilig machte Jakob einen Schritt auf sie zu und stellte sich ihr in den Weg.
„Du stehst mir schon wieder im Weg rum!“ Mit einem verbissenen Gesichtsausdruck pustete sie sich eine verschwitzte Locke aus der Stirn und blinzelte ihn wütend an.
„Ich wollte dir das nur abnehmen!“
„Glaubst du, ich bräuchte dich, um meinen Job zu machen?“
Jakob überlegte krampfhaft, was er sagen sollte, fühlte sich aber, als würde er über ein Minenfeld laufen. Sie wollte ihm keine Chance geben. Aus irgendeinem Grund war sie von Anfang an sicher gewesen, dass er unnütz war, und gab ihm diese Einschätzung auch deutlich zu verstehen. Ihm musste etwas einfallen – und zwar schleunigst –, was sie dazu bringen würde, ihre Einschätzung zu überdenken, andernfalls würde sie ihrem Vater mit Sicherheit raten, ihn schon morgen früh zu feuern. Zunächst einmal machte er ihr den Weg frei. „Ich wollte nur helfen. Tut mir leid. Ich werde mal die übrigen Sachen holen.“ Damit entfernte er sich.
Die übrigen Getränkekisten und Fässer brachte er wortlos zum Stand, wobei er nichts dagegen tun konnte, dass sein Blick immer wieder zu den feuchten Locken in ihrem Nacken wanderte. Sie arbe itete am Limit. Immer mehr Menschen drängten sich um den Stand und die Massen waren bereits stark angeheitert, was sie zunehmend ungeduldiger werden ließ, je länger sie warten mussten. Sie hatte alle Mühe, so schnell zu arbeiten, dass sie die Leute in Schach halten konnte. Ihre Haare klebten ihr feucht am Kopf und von Zeit zu Zeit fächelte sie sich mit einem Untersetzer frische Luft zu, bevor sie ein Glas darauf abstellte. Eins war Jakob mittlerweile klar, er würde sie nicht mit Worten beeindrucken können, sondern nur mit Taten, und er durfte ihr dabei nicht zu nahetreten. Also stellte er sich an das andere Ende des Tresens.
„Was darf es für Sie sein?“ Er blickte den Mann vor ihm freundlich an, ohne dass dieser ihn wirklich zu beachten schien. „Sir?“
Jetzt drehte er den Kopf zu Jakob und sah ihn stirnrunzelnd an. „Seit wann ist denn bei William Selbstbedienung? Sie dürfen nicht hinter den Tresen, sonst kriegen Sie es mit Julie zu tun. Sie wird Ihnen die Hölle heiß machen!“ Er kicherte. Die Vorstellung schien ihn zu amüsieren.
„Nein, Sir, ich arbeite hier. Zumindest für heute.“
Noch immer starrte der Typ ihn skeptisch an.
„Aushilfsweise für heute!“
„Hab Sie noch nie gesehen!“
Jakob stöhnte innerlich auf. Wollte der Kerl jetzt etwas zu trinken oder ‘ne Grundsatzdiskussion? Plötzlich spürte er eine zarte Hand auf seiner Schulter.
„Kevin, das ist …“ Sie rieb sich über die Schläfe. „Wie heißt du noch mal?“ Sie wirkte uninteressiert und auf eine merkwürdige Weise ärgerte ihn dieses offen zur Schau gestellte Desinteresse mehr als die Tatsache,
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