Stille Seele (German Edition)
Löffel beiseite und runzelte nachdenklich die Stirn. „Ich wäre gerne zu ihnen gegangen. Das würde ich noch immer gerne, aber das ist unmöglich!“ Er lächelte verzerrt und löffelte dann verbissen weiter an seiner Suppe.
„Was ist passiert?“ Stan betrachtete ihn eingehend. „Weißt du, ich wusste vom ersten Augenblick an, dass etwas nicht stimmt. Schon wie du da am Ortsschild gestanden hast.“ Er schüttelte den Kopf. „Du sahst irgendwie verloren aus. Ich habe nie verstanden, wieso du unsere Hilfe nicht annehmen wolltest. Du hattest Hunger, aber du wolltest nicht essen. Du wusstest nicht, wo du schlafen solltest, aber du wol ltest meine Gastfreundschaft nicht annehmen. Ich meine, wäre meine Couch wirklich schlimmer gewesen als die Kajüte meines Seglers?“ Er zog fragend die Augenbrauen hoch.
„Du wusstest, dass ich hier geschlafen habe?“
„Ich bin groß und nicht gerade feinfühlig, aber ich bin nicht dumm.“ Stan grinste breit. „Also, warum hast du uns nicht helfen lassen? Dir ging es nicht gut und ich lehne mich, glaube ich, nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass es jetzt noch schlimmer ist! Trotzdem bist du abgehauen, hast uns angelogen und irrst seit über sechs Monaten durch Kanada, anstatt zu uns zu kommen!“
„Mein Bruder würde wohl sagen, dass ich schon immer ein sturer Dickkopf gewesen bin. Mein Freund Connor, dass ich so stolz bin, dass ich mir lieber selbst eine Hand abhacken würde, als Hilfe anz unehmen!“ Traurigkeit huschte über Jakobs Gesicht.
„Und was sagst du?“
„Ich sage, sie haben alle beide recht, und dass ich zudem noch ein Vollidiot bin.“ Er stützte seinen Kopf auf dem Unterarm auf und starrte auf den Holztisch vor sich. „Außerdem bin ich müde und weiß nicht mehr weiter. Ich bin müde wegzulaufen. Ich möchte nicht mehr alleine sein. Ich habe es satt, nicht mehr zu wissen, wer ich eigentlich bin oder sein will, nur weil ich eine, na ja, gut, vielleicht mehrere falsche Entscheidungen getroffen habe. Ich kann nicht vor und erst recht nicht zurück und ihr seid die Einzigen, zu denen ich gehen kann. Stan, ich schlucke meinen Stolz herunter und bitte dich, schick mich nicht wieder weg.“
Stan schüttelte den Kopf. „Ich denke, du solltest erst einmal schl afen. Siehst echt mitgenommen aus. Morgen gucken wir dann weiter!“ Er stand auf und stellte Jakobs leeren Teller in die Spüle.
„Julie? Ich meine, wie geht es ihr?“ Jakob kratzte sich verlegen am Kopf. „Ich habe sie vermisst!“
„Ich weiß!“ Kurz legte Stan eine seiner Pranken auf Jakobs Schulter und schlurfte dann kopfschüttelnd aus dem Zimmer.
Jakob war froh, dass Stan ihn fürs erste nicht bat, seine Geschichte zu erzählen und trotzdem wusste er, dass der Moment unweigerlich kommen würde. Er seufzte und spürte, wie seine Augenlider schwer wurden. Mit letzter Kraft zog er die alte Wolldecke von der Sofalehne und deckte sich notdürftig zu, bevor er in tiefen, traumlosen Schlaf sank.
7. Januar 2007, Marble Hills, Stans Haus
Jakob erwachte gute sechzehn Stunden später und das Erste, was er wahrnahm, war die Wärme von Sonnenstrahlen, die durch das seitliche Wohnzimmerfenster auf sein Gesicht fielen, gleich gefolgt von einem bohrenden Hungergefühl. Blinzelnd setzte er sich auf und schob eine dicke Daunendecke von seinem Körper. Stan musste zurückgekommen sein und ihn zugedeckt haben. Er fuhr sich zweimal mit den flachen Händen über das Gesicht und zuckte zusammen, als sein Blick auf den gegenüberliegenden Sessel fiel. Am Abend zuvor hatte dort Stan gesessen, jetzt thronte Julie auf dem braunen Polster. Sie hatte die Beine angezogen und fixierte ihn unnachgiebig.
„Du lebst also noch?“
Jakob machte eine ausladende, bejahende Handbewegung, von der er hoffte, dass sie gleichzeitig eine beschwichtigende Wirkung haben würde. Unsicher senkte er den Blick und spürte, wie sich sein Puls beschleunigte und war sich im selben Moment bewusst, dass diese körperliche Reaktion allein durch ihre Anwesenheit zustande kam. Er schluckte trocken und fuhr sich nervös mit dem Handrücken über das Gesicht.
„Ich kann nicht versprechen, dass das noch lange so bleibt!“ Sie sah ihn zornig an, während Jakob aufstand und zu Stans Küchenzeile hinüber schlurfte. Verschlafen fuhr er sich dabei durch die Haare.
„Würde es dir etwas ausmachen, mit deinen Mordgelüsten zu warten, bis ich etwas Essbares gefunden habe?“ Jakob krönte seinen Versuch eines
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