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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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klang rau. Julies warmer Körper neben ihm erschwerte es erheblich, sich zu konzentrieren. Ihre dunklen Locken kringelten sich vorwitzig in ihrem Nacken und für einen Moment hatte Jakob den Wunsch, ihr das Haar aus dem Gesicht zu streichen und was immer sie so traurig machte einfach fort zu küssen.
    „Von wem sprichst du?“
    „Jamie!“ Sie holte zitternd Luft. „Er war mein Bruder. Ich meine, er ist mein Bruder. Ich weiß nicht. Ich habe wirklich gedacht, dass er darüber hinweg ist. Na ja, zumindest ein bisschen. Dass es ab jetzt besser werden würde, und dann bist du aufgetaucht!“
    „Was ist passiert?“ Wie von selbst legte sich Jakobs Hand auf Julies Oberschenkel und übte vorsichtig Druck aus.
    „Er war fünfzehn, als er im Sommer ‘94 nicht von der Schule nach Hause kam. Dad war sich sicher, dass er sich nur verspätet hatte, aber mir war sofort klar, dass etwas nicht stimmte. Er kam nicht am Abend, nicht am Tag danach. Er ist überhaupt nicht wieder aufgetaucht. Dad fand immer andere Ausreden. Erst hatte er sich nur verspielt, dann hatte er Angst, nach Hause zu kommen und sich den Ärger seines Lebens einzufangen. Ich weiß nicht, was seine aktuelle Erklärung ist. Die Polizei hat auf jeden Fall eine, die er nicht akzeptieren will.“
    „Sie denken, dass er tot ist?“ Vorsichtig griff Jakob nach Julies Hand und hielt sie sanft fest.
    Sie nickte und zog dann geräuschvoll die Nase hoch. „Er wäre wieder nach Hause gekommen, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Er war vielleicht eine Nervensäge und merkwürdig definitiv, aber er war fast noch ein Kind und er hat uns gebraucht. Er wäre niemals weggelaufen. Dad klammert sich an die Hoffnung, dass er eines Tages einfach in der Tür steht. Deshalb besteht er darauf, dass nach Möglichkeit immer jemand zuhause ist.“ Sie zuckte verzweifelt mit den Schultern und unterdrückte ein leises Schluchzen. „Es macht uns kaputt, dieses ständige Warten. Die Ungewissheit, aber Dad will nicht aufgeben. Ich habe mein halbes Leben damit verbracht, auf meinen Bruder zu warten, dabei erinnere ich mich kaum noch an ihn!“ Sie holte zitternd Luft. „Ich wollte dich so gerne hassen, dafür, dass du ihm so ähnlich bist. Es ging Dad wirklich besser in letzter Zeit. Er hat aufgehört, jede Minute auf ihn zu warten. Es war wieder ein bisschen so wie vor dieser Sache, und dann bist du aufgetaucht. Ich hätte dich am liebsten aus der Stadt gejagt. Ich meine, du siehst ihm nicht einmal besonders ähnlich. Es ist mehr die Art, wie du dich bewegst, die Art, wie du manchmal lachst oder Dinge sagst. Du bist anders und auch wieder nicht. Dad hat sich auf dich eingeschossen. Er versucht, nach all den Jahren die Lücke zu schließen und benutzt dich dafür. Ich sage nicht, dass du etwas dafür kannst, aber ich habe ihn seit dieser Sache nicht mehr so glücklich gesehen wie in den letzten Monaten, und wenn du jetzt gehst …!“ Tränen schimmerten in ihren Augen.
    „Ich wusste das nicht.“ Jakob fuhr sich durch die Haare und ließ das Kinn auf die Brust sinken. „Wenn ich das gewusst hätte!“ Was dann, wäre ich dann rechtzeitig gegangen? Er brach ab und schüttelte unwi llig den Kopf, denn er wusste instinktiv, dass er egoistisch gehandelt hätte und trotzdem geblieben wäre. „Wie alt wäre er jetzt?“
    „Siebenundzwanzig [iv] , aber für mich ist er immer noch die pubertierende Nervensäge von damals.“ Sie lächelte mit Tränen in den Augen und sah Jakob kurz an. „Wenn du gehst, brichst du Dad das Herz!“
    Jakob senkte den Blick. „Es tut mir ehrlich leid, Julie, aber ich kann trotzdem nicht bleiben. Es ist kompliziert!“
    Sie blitzte ihn wütend an.
    „Was hast du denn so Wichtiges zu tun? Deine Familie wird dich ja wohl kaum erwarten, so interessiert, wie ihr aneinander zu sein scheint!“
    Unwillkürlich zuckte Jakob zurück und atmete tief ein.
    „Entschuldigung, das war gemein!“ Julie hörte sich kleinlaut an und Tränen liefen ihre Wangen hinab.
    „Ja, war es, aber es macht keinen Unterschied.“
    „Erklär es mir. Ich will es verstehen!“
    „Da bin ich mir sicher, aber ich kann dir nichts sagen, außer dass es mir Leid tut!“
    Sie schien zu überlegen. Verzweiflung lag auf ihrem Gesicht. Sie errötete und rutschte etwas näher heran. Dann presste sie ihre Lippen auf seine.
    Jakob war in keinster Weise auf diesen Kuss vorbereitet gewesen. Er nahm ihm den Atem, jagte ihm wohlige Schauer über den Rücken und wirbelte jeden noch klar

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