Stille Sehnsucht
Kilians Entführung. Vielleicht wusste er sogar alles über ihn. Einfach alles. Niko wurde übel.
„Das hier ist der gefühlte tausendste Versuch, denn ich weiß einfach nicht, wie ich diesen Brief am besten anfange“, las Tyler weiter vor und mit jedem neuen Wort zerbrach etwas in Niko.
Er kannte Alex' Brief in und auswendig. Jeden Satz und jeden leicht nach links geschwungenen Buchstaben. Jedes Stocken, wenn Alex beim Schreiben abgesetzt und wieder angefangen hatte. Niko hatte diesen Brief so oft in den Händen gehalten und gelesen, dass er sogar die Flecken auf dem Papier und seine eigenen Tränenspuren mit geschlossenen Augen finden würde.
„Hör' endlich auf! Ich weiß, was in diesem verfickten Brief steht“, schrie er, am Ende mit den Nerven, und riss sich los. Sowohl von Tylers tiefer und ruhiger Stimme, als auch von seiner Position, um ins Bad zu flüchten und sich dort einzuschließen. Vielleicht begriff das Raubein ja auf diese Weise, dass er in seinem Zimmer nicht länger willkommen war.
Nur schien Johnson eine andere Definition davon zu haben, ob er willkommen war oder nicht. Niko traute seinen Ohren nicht, als er kurz darauf ein Schaben im Schlüsselloch hörte, bevor die Tür aufging und der Bulle zu ihm ins Badezimmer trat. Mit einem Dietrich in der Hand warf Tyler einen abfälligen Blick auf die Tür und steckte danach seelenruhig sein Einbruchswerkzug in die Jackentasche.
„Dieses Schloss ist ein Witz.“
„Du hast gerade eine Tür aufgebrochen“, meinte Niko und wusste nicht, ob er Tyler dafür schlagen oder lieber in hysterisches Gelächter ausbrechen sollte.
„Und?“
„Du bist ein Cop.“
„Na und.“
„Na und?“, echote Niko fassungslos und sah von Tyler zur Tür und zurück. „Du kannst doch nicht einfach eine Tür aufbrechen.“
Tyler wirkte gänzlich unbeeindruckt. „Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, kann ich das sehr wohl.“
„Gefahr für Leib und Leben?“ Niko schnaubte. „Was für ein Blödsinn. Ich wollte nur, dass du verschwindest.“
„Schon mal was von direkter Aussprache gehört?“
„Bitte?“, empörte sich Niko. „Ich habe gesagt 'Raus hier'. Du hörst ja nicht auf mich.“
„Du warst sauer und ich wollte in aller Ruhe mit dir reden“, erwiderte Tyler und schloss die Badezimmertür, um sich von innen gegen das Holz zu lehnen. „Das will ich immer noch.“
Damit war das Thema Flucht vom Tisch, denn Niko machte sich keine Illusionen, was ein Vorbeikommen an diesem Sturkopf betraf. Er hatte nicht vergessen, dass er Tyler körperlich nicht viel entgegenzusetzen hatte. Niko würde härtere Geschütze auffahren müssen, um den Cop loswerden, der sturer war, als er geglaubt hatte.
„Ich will nicht mit dir reden. Wann geht das endlich in deinen verdammten Dickschädel?“, fluchte Niko und klappte den Toilettendeckel herunter, um sich obendrauf zu setzen.
„Irgendwann müssen wir darüber reden.“
Was meinte Tyler damit nun wieder? „Worüber?“
„Uns.“
Niko stöhnte frustriert auf. „Es gibt kein 'uns', klar?“
„Gut, dann lass uns über Alex reden“, machte Tyler sofort den nächsten Vorstoß und Niko unterdrückte den innigen Wunsch, mit dem Hinterkopf gegen die Wand zu schlagen.
„Nein!“
Tyler verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn abwartend an. Himmel, dieser Bulle war schlimmer als eine ganze Herde störrischer Esel. Niko hätte sich am liebsten die Haare gerauft und tat es schließlich, weil er mit seinem Latein am Ende war.
„Hätte ich eine Kanone, würde ich dich glatt umlegen. Meine Güte, wie kann man nur so penetrant sein?“
„Willst du meine haben?“, fragte Tyler trocken und Niko verlor die Beherrschung.
„Nein!“ Er warf die neben der Toilette hängende Rolle Toilettenpapier nach Tyler, der einen Schritt zur Seite trat, um ihr auszuweichen. Tylers folgender Blick war so herrlich pikiert, dass Niko lachen musste, obwohl er es nicht wollte. „Du bist so ein Arsch“, japste er zwischen Lachen und Luftholen. „Ein arroganter, dickköpfiger und nerviger Arsch.“
Tyler seufzte leise. „Willst du was trinken, Niko?“
„Nein.“
„Du könntest einen Drink gebrauchen, glaube ich“, murmelte Tyler und fluchte, als plötzlich das Duschgel in seinem Bauch landete.
„Ja!“, jubelte Niko und grinste breit. „Strike. Treffer. Ich hab' dich endlich erwi... Hey!“ Er schrie auf, als Tyler ihn ohne ein weiteres Wort packte, in die Dusche drängte und das kalte Wasser aufdrehte. „Bist
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