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Stille über dem Schnee

Stille über dem Schnee

Titel: Stille über dem Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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noch in Erinnerung hat, manches
zusammenreimen. Der Raum hat einen durchsichtigen Spiegel, und auf einem Tisch
steht ein Tonbandgerät. Meinem Vater wird weder eine Tasse Kaffee noch ein Glas
Wasser angeboten. Er wird aufgefordert, seine Jacke abzulegen. Charlotte
bekommt er nicht zu sehen, auch später nicht.
    Er wird aufgefordert, die ganze Geschichte von Beginn an zu
erzählen.
    â€ºVon dem Moment an, als wir das Kind fanden?‹ fragt mein Vater.
    â€ºVon Anfang an‹, sagt Warren.
    Mein Vater erzählt, wie wir das Neugeborene in dem Schlafsack
gefunden haben. Er spricht langsam und berichtet genau, bemüht, sich an alle
Einzelheiten zu erinnern.
    â€ºSind Sie Charlotte Thiel schon vor diesem Abend einmal begegnet?‹
fragt Warren.
    â€ºNein‹, antwortet mein Vater.
    â€ºSie hatten sie noch nie gesehen?‹
    â€ºNein.‹
    Mein Vater berichtet, daß er Charlotte das erstemal in unserem Haus
begegnet ist, nachdem sie dort in dem blauen Malibu angekommen war. Sie habe
gesagt, sie suche ein Weihnachtsgeschenk für ihre Eltern, eine Geschichte, die
ihm, wenn er jetzt zurückblicke, gleich recht fadenscheinig vorgekommen sei. Er
erinnert sich an Charlottes späteres Geständnis, daß sie gar nicht gekommen
war, um etwas zu kaufen, sondern einzig, um ihn zu sehen.
    â€ºWarum?‹ fragt Warren.
    â€ºUm mir zu danken‹, antwortet mein Vater.
    â€ºUm Ihnen zu danken?‹
    â€ºJa.‹
    â€ºWofür?‹
    â€ºDaß ich das Kind gefunden habe.‹ Mein Vater überlegt einen Moment.
›Sie bat mich außerdem, ihr den Ort zu zeigen, wo wir das Kind gefunden haben.‹
    â€ºDa draußen im Wald?‹
    â€ºJa.‹
    â€ºHaben Sie ihn ihr gezeigt?‹
    â€ºNein. Das heißt, doch. Ich nicht, aber Nicky … Sie
wollte … Am nächsten Tag.‹
    Mein Vater erklärt, er habe gewollt, daß Charlotte sofort wieder
abfahre. ›Und sie wollte auch fahren‹, fügt er hinzu.
    Er berichtet Warren von Charlottes Ohnmacht.
    Er berichtet, daß wir Charlotte zu essen gegeben haben und sie
schlafen ließen.
    Daß er nicht mehr von ihr wissen wollte als unbedingt nötig.
    Er berichtet, wie Charlotte über seinen Schlafsack stolperte. Sich
die Hände verletzte.
    Er berichtet, wie sie ihm ihre Geschichte erzählte.
    â€ºMoment mal, habe ich das richtig verstanden?‹ fragt Warren und
kippt seinen Stuhl nach vorn. ›Sie hat Ihnen erzählt, James hätte gesagt, das
Baby sei im Auto. Kein Nachname?‹
    â€ºNein.‹
    â€ºUnd daß sie das Baby berührt habe, als sie ins Auto stieg?‹
    â€ºNein, daß sie die aufgehäuften Decken berührt habe. Sie dachte, das
Kind läge darunter.‹
    â€ºSie hat keinen Verdacht gehabt?‹
    â€ºNein.‹
    â€ºUnd Sie haben ihr das abgenommen?‹
    â€ºJa.‹
    Mein Vater weiß in diesem Moment nicht – er wird das erst später
erfahren –, daß Warren diese Geschichte bereits gehört hat. Warren läßt sich
die Version meines Vaters erzählen, weil sie – abgesehen davon, daß sie
möglicherweise neue Fakten ans Licht bringt – ein Mittel ist, um Charlottes
Aussage auf Widersprüchlichkeiten zu prüfen.
    â€ºWerden Sie mich verhaften?‹ fragt mein Vater.
    â€ºDarauf werden wir zu gegebener Zeit zurückkommen.‹
    â€ºMeine Tochter hat mit dieser Geschichte nichts zu tun‹, erklärt
mein Vater.
    â€ºSagten Sie nicht, Nicky wollte Charlotte Thiel zu der Stelle im
Wald führen?‹
    â€ºHm, ja.‹
    â€ºWas passierte da?‹
    â€ºNichts. Ich merkte, daß sie weg waren, und habe sie eingeholt, bevor
sie die Stelle erreicht hatten.‹
    â€ºAber es war jemand dort‹, sagt Warren. ›Hat alles ziemlich
aufgewühlt.‹
    Mein Vater erkennt sofort seinen Fehler. Er weiß nicht, daß
Charlotte bereits gestanden hat, vermutet aber, daß sie es vielleicht tun wird.
Und er hat keine Ahnung, was da draußen abgelaufen ist.
    â€ºIch hatte den Eindruck, sie waren auf dem Weg vom Haus weg und
nicht auf dem Weg zurück‹, sagt mein Vater, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu
verlieren und mich zu schützen.
    Aber er ist Warren nicht gewachsen.
    â€ºWarum haben Sie nicht die Polizei alarmiert?‹ fragt er.
    â€ºIch wußte, daß sie verschwinden würde, sobald ich zum Telefon
greife.‹
    â€ºAber Sie wollten

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