Stille über dem Schnee
tot.â¹
âºUnd Sie glaubten ihr das? Daà eine Frau, die gerade Mutter geworden
ist, ins Haus gehen und ihr neugeborenes Kind in einem Korb auf dem Rücksitz
eines Autos zurücklassen würde?â¹
âºUnter diesen besonderen Umständen hielt ich es für möglich. Ja, ich
hatte das Gefühl, daà sie die Wahrheit sagte.â¹
âºWarum haben Sie nicht die Polizei alarmiert?â¹
Warren hat die Frage schon einmal gestellt. Mein Vater fühlt sich
bedrängt. âºDas habe ich bereits erklärt.â¹
Warren faltet die Hände auf dem Tisch. âºWie lange war sie bei Ihnen
im Haus? Achtundvierzig Stunden? Sie hätten in jeder Minute dieser
achtundvierzig Stunden zum Telefon greifen können. Das ist eine Menge Minuten,
um die Polizei nicht anzurufen.â¹
Mein Vater schweigt.
âºIch könnte Sie für ein Jahr oder auf jeden Fall sechs Monate hinter
Gitter bringen. Wer würde sich dann um Ihre Tochter kümmern?â¹
âºDrohen Sie mir nichtâ¹, sagt mein Vater und steht auf.
âºSetzen Sie sich, Mr. Dillon. Warum haben Sie nicht angerufen?â¹
âºDas habe ich Ihnen doch gesagtâ¹, entgegnet er und setzt sich
wieder. âºIch wollte, daà sie sofort wieder fährt. Als sie merkte, daà ich sie
nicht zu der Stelle â im Wald â führen würde, sagte sie, sie würde fahren. Aber
dann wurde sie ohnmächtig. Ich machte mir Sorgen. Ich sagte, ich würde einen
Krankenwagen anrufen, aber sie packte mich am Arm und sagte, wenn sie in ein
Krankenhaus ginge, würde man â würden Sie â sie verhaften. Und das hat ja
gestimmt.â¹
âºUnd?â¹ sagt Warren.
âºIch konnte die Frau doch nicht mit Gewalt in einen Wagen befördern.
Und freiwillig wäre sie nicht eingestiegen. Andererseits wollte ich nicht, daÃ
sie das Haus verläÃt, weil ich fürchtete, sie könnte wieder ohnmächtig werden.â¹
âºWarum haben Sie dann nicht die Polizei angerufen?â¹ fragte Warren
zum drittenmal.
âºWas soll das?â¹
âºSagen Sie mir, warum Sie nicht angerufen haben.â¹
âºIch bin hier fertigâ¹, sagt mein Vater. âºIch gehe jetzt.â¹
âºWas weiter?â¹ fragt Warren.
âºWas soll das heiÃen? Ich weià nicht, was Sie wollen. Ich weiÃ, daÃ
ich dachte, wenn ich diese Frau ins Krankenhaus fahre â immer vorausgesetzt,
ich schaffe es, sie in meinen Laster zu bringen â, wird die Polizei sehr
schnell von der Patientin hören, die vor kurzem entbunden hat, und ebenso von
dem klapprigen alten Laster, in dem sie vorgefahren ist. Und ich sitze dann
noch tiefer in der Patsche als ohnehin schon. Was mich allerdings, um ehrlich
zu sein, nicht übermäÃig gekümmert hat. Nein, was mir Sorgen machte, war meine
Tochter. Wenn ich festgenommen oder, schlimmer noch, eingesperrt worden wäre,
was wäre dann aus ihr geworden? Jede Entscheidung, die ich heute treffe,
schlieÃt sie ein.â¹
Mein Vater neigt sich Warren entgegen. âºUnd da ist noch etwasâ¹, fügt
er hinzu. âºMeine Tochter beobachtet alles, was ich tue. Sie vertraut darauf,
daà ich das Richtige tue. Es hätte sein können, daà Charlotte unschuldig ist.
Ich habe nicht telefoniert. Ich habe gewartet. Und je länger ich gewartet habe,
desto komplizierter wurde alles.â¹
Warren sieht ihn weiter unverwandt an. Mein Vater hat das Gefühl,
sich das eigene Grab zu schaufeln, fühlt sich aber immer noch gedrängt zu
erklären â wenn keinem anderen, dann doch sich selbst.
âºIch wollte sie nicht einfach im Stich lassenâ¹, sagt mein Vater.
âºIch wollte sie nicht einfach Ihnen überlassen, wenn Sie es genau wissen
wollen. Jedesmal, wenn ich daran dachte, ans Telefon zu gehen, bekam ich einen
ganz üblen Geschmack im Mund.â¹
Mein Vater steht wieder auf. Er schlieÃt den ReiÃverschluà seiner
Jacke.
âºSie hat den Kerl aufgegebenâ¹, sagt Warren.
Diese Neuigkeit überrascht meinen Vater. âºSie haben schon mit ihr
gesprochen?â¹
âºEr ist in der Schweiz.â¹
âºSie hat Ihnen schon die ganze Geschichte erzählt?â¹
âºBeim Skilaufenâ¹, sagt Warren.
Der Kriminalbeamte und mein Vater kommen in die Cafeteria. Ich
springe auf, sobald ich sie bemerke.
»Alles
in Ordnung«, sagt mein Vater.
»Was ist mit Charlotte?« frage ich.
»Gegen sie wird Anklage erhoben«, antwortet Warren,
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