Stille Wasser sind toedlich
hinweg. Hellebore verlor die Balance, strauchelte und fiel in einen Morasttümpel neben dem Pfad. James hörte ein lautes Platschen, wagte es aber nicht, sich umzudrehen. Noch hatte er das Rennen nicht gewonnen.
Dann war er im hellen Sonnenlicht. Er sah die wartenden Zuschauer, hörte die gedämpften Rufe. Vor seinen Augen verschwamm alles, die Umgebung wurde unscharf und dann wieder scharf. Das Blut dröhnte wie ein Wasserfall in seinen Ohren. Er war von oben bis unten mit Schweiß bedeckt, dick und ölig lag er auf seiner Haut, brannte in seinen Augen.
Vergeblich bemühte sich James einen gleichmäßigen Rhythmus beizubehalten. Es war zu viel, er hatte überzogen. James wurde langsamer, schloss die Augen. Schwärze hüllte ihn ein.
Doch dann meldete sich eine leise Stimme in ihm zu Wort. »Komm schon, Bond«, sagte sie. »Lauf weiter …«
Nein, Moment mal, er kannte diese Stimme. James öffnete die Augen. Da an der Seite stand die kleine Schar seiner Freunde – Pritpal und Tommy Chong, Butcher … Und da war Mr Merriot; es war seine Stimme gewesen, die James gehört hatte.
»Komm schon, Bond … Lauf weiter!«
»Lauf, James«, schrie Pritpal. »Niemand kann dich einholen!«
James drehte sich um. Von Hellebore war nichts zu sehen. Er musste es nur noch bis hinter die Ziellinie schaffen. Das spornte ihn an. Er mobilisierte die letzten Energiereserven … und dann war er da.
James stolperte durchs Ziel und riss das Begrenzungsband mit sich. Ein paar Schritte wankte er weiter, dann stürzte er zu Boden. Sofort war er von jubelnden Schülern umringt. Er schloss die Augen und einen Moment lang stellte er sich vor, wie er an einem sonnigen Strand lag und ihn die Wellen umspülten, irgendwo weit weg, Millionen von Meilen weit … Doch dann schlug der Schmerz, den er so lange zurückgedrängt hatte, wie eine Woge über ihm zusammen. Alles tat weh: die Muskeln, das zerschundene Gesicht und die Arme, die raue Kehle, die gequälte Lunge. Er stöhnte laut auf. Jemand half ihm auf die Beine.
Es war Mr Merriot.
»Steh auf, Bond.«
»Tut mir Leid, Sir.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen Junge. Du hast gewonnen. Ich wusste, dass du es schaffst.«
»Wer … wer wurde Zweiter, Sir?«
»Sie kommen gerade erst rein.« Mr Merriot deutete hinter James. James drehte den Kopf und sah Carlton, der mit schmerzverzerrtem Gesicht verbissen auf das Ziel zustolperte. Ein von Kopf bis Fuß mit grünlichem Matsch bedeckter Hellebore humpelte hinter ihm her.
Unter dem Jubel der Schüler erreichten sie das Ziel. Carlton wurde von seinen Anhängern hochgehoben, denn sie wussten natürlich, dass er damit den Cup gewonnen hatte. Hellebore sank auf die Knie und begrub das Gesicht in den Händen. Er war ganz allein. Alle seine Freunde waren noch an der Strecke, nur sein Vater war da.
Lord Hellebore warf seinem Sohn, dem Drittplatzierten, dem Versager, einen kurzen Blick zu und wandte sich ab.
Es war schrecklich mit anzusehen.
George Hellebore blickte seinem Vater nach. James sah, dass er weinte. Die Tränen hinterließen schmale Linien auf seinen schlammverschmierten Wangen.
»Ich habe alles versucht, Dad …«
Aber sein Vater hörte ihn nicht.
Plötzlich drehte George den Kopf zur Seite und starrte James an.
»Du!«, sagte er und richtete sich auf.
»Vergiss es«, sagte James. »Es ist vorbei.«
George humpelte auf ihn zu. »Du hättest mich nie einholen können, Bond«, stieß er hervor. »Es sei denn …«
»Es sei denn was?«, schnitt James ihm das Wort ab. Ein paar Jungs, die einen Streit witterten, scharten sich um ihn. »Es sei denn, ich hätte betrogen? Ist es das, was du sagen wolltest?« James starrte in Hellebores rot geränderte Augen. »Beschuldigst du mich ein Betrüger zu sein?«
George schaute in die Gesichter der Umstehenden und blickte dann zu Boden.
»Nein«, murmelte er. Er drehte sich um und zwängte sich durch die Schaulustigen hindurch.
Jemand fing an zu lachen, ein anderer stimmte ein und schließlich prusteten alle los. George krümmte sich und schien förmlich zu schrumpfen.
James konnte nicht in das Gelächter mit einstimmen. In seinem Mund war ein bitterer Geschmack.
Es war nicht vorbei. Von nun an würde alles nur noch schlimmer werden.
Red Kelly
Liebster James,
deinem armen Onkel Max geht es leider immer noch nicht besser und ich fürchte, ich kann ihn in diesem Zustand nicht alleine lassen. Daher halte ich es für das Beste, wenn du nach Schottland kommst und die Osterferien hier
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