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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Higson
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Los!«
    Eine Viertelstunde später hatten sie eine kuschelige, kleine Höhle eingerichtet und legten sich hin, um auszuruhen. James schaltete die Taschenlampe aus und im Keller wurde es rabenschwarz.
    »Ich hoffe, du hast keine Angst vor der Dunkelheit«, sagte Kelly.
    »Hatte ich nie«, sagte James. »Ich mag die Dunkelheit. Ich habe mir immer gesagt, wenn du selbst keine Ungeheuer sehen kannst, sehen sie dich auch nicht.«
    »Ich dachte immer, Ungeheuer können in der Dunkelheit sehen«, kicherte Kelly.
    »Nein«, sagte James energisch. »Das können sie nicht.«
    James fiel in einen unruhigen Schlaf; er träumte von Aalen, vom Ertrinken, hörte einen Jungen schreien und war daher erleichtert, als ihn Kelly mit dem Ellbogen stieß und mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete.
    James setzte sich auf.
    »Wie spät ist es?«, fragte Kelly, der selbst keine Uhr hatte. James schaute auf seine Armbanduhr; es war halb eins.
    »Dann machen wir uns am besten auf den Weg«, sagte Kelly.
    Sie öffneten vorsichtig die Falltür, stiegen hinauf und schlichen nach draußen. Alles war totenstill und ruhig, aber die großen Flutlichter auf dem Abstellplatz brannten immer noch.
    Über ihnen schossen Fledermäuse im Zickzack durch die Luft und jagten im Sturzflug nach den Insekten, die von dem Licht angelockt wurden.
    Das Schloss lag nun völlig im Dunklen. Die Fenster waren nur noch schwarze Schlitze.
    »Sollen wir unser Glück am Vordereingang versuchen?«, fragte Kelly keck. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt …«
    Aber James schaute hoch zum Baum, der sich scheinbar schlaftrunken über das Wasser der Schlossmauer entgegenreckte. Hoch über ihnen stand ein Fenster offen, vor dem sich eine niedrige, steinerne Brüstung befand.
    »Schau mal«, sagte er. »Da ist ein offenes Fenster.«
    »Hervorragend«, flüsterte Kelly sarkastisch. »Jetzt brauchen wir nur noch eine Leiter und ein Boot, um hinüberzuschippern.«
    »Brauchen wir nicht«, widersprach James. »Wir müssen nur auf den Baum klettern. Siehst du nicht? Dieser dicke Ast da oben reicht fast bis ans Fenster heran.«
    »Bist du närrisch?«, sagte Kelly. »Wir klettern verdammt noch mal nicht hinauf, da brechen wir uns höchstens das Genick.«
    »Nein, das werden wir nicht. So hoch ist es auch wieder nicht. Erzähl mir bloß nicht, du bist noch nie auf einen Baum geklettert.«
    Kelly schaute verlegen drein. »Ich bin schon Regenrinnen hochgeklettert und Leitern sind mir ebenfalls nicht unbekannt, aber … na ja, da wo ich wohne, gibt’s nicht viele Bäume.«
    »Es ist, wie du immer sagst, ein Kinderspiel«, sprach James ihm Mut zu. »Folge mir einfach und mache alles genau wie ich, dann klappt es schon.«
    »Ganz im Ernst, James«, sagte Kelly, »mir wird sehr leicht schwindlig und ich traue Bäumen nicht.«
    »Komm mit«, sagte James und marschierte entschlossen auf die große schottische Kiefer zu.
    Den untersten Ast zu erreichen war meist das Schwierigste beim Klettern. Was das anging, machte auch dieser Baum keine Ausnahme. Nachdem sie einige Minuten vergeblich versucht hatten hochzuspringen, machte Kelly eine Räuberleiter und schob James nach oben. Dann ließ sich James nach unten hängen und packte Kellys Hand.
    »Fertig?«
    »Zieh mich hoch!«
    Im nächsten Augenblick saßen die beiden sicher im Geäst der Kiefer.
    Es war ziemlich einfach, auf die weiteren Äste zu klettern, und sie kamen schnell voran, aber der Baum war größer, als es von unten her ausgesehen hatte, und das Fenster viel höher als vermutet.
    Die Kiefer strömte einen intensiven Geruch aus und harzte, bald waren ihre Hände klebrig und verschmiert. Kelly fluchte und mühte sich ab, er prüfte nervös die Äste, auf denen James spielend hochgeklettert war, und ab und zu wählte er einen anderen aus. Je höher sie stiegen, desto dünner wurden die Äste und sie waren von kleinen, stechenden Zweigen umgeben.
    »Ich weiß nicht, Jimmy«, sagte Kelly, »ich weiß nicht, ob ich weiterkann.«
    James schaute nach unten; Kelly kauerte auf einem ganz dünnen und verdorrten Ast, den James absichtlich umgangen hatte.
    »Nicht den«, sagte James. »Er ist zu schwach. Verlagere dein Gewicht auf den daneben.«
    Aber Kelly rührte sich nicht vom Fleck. Im Mondlicht wirkte sein Gesicht fast völlig weiß.
    »Komm weiter«, sagte James. »Es passiert dir nichts, solange du nicht nach unten schaust.«
    »Ich kann nicht nach unten schauen«, stammelte Red. »Ich kann nicht nach oben schauen, ich kann nicht …«

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