Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Higson
Vom Netzwerk:
befanden sich schwere Eichentüren.
    Im Haus war es totenstill, wie in einem Mausoleum. Dies hieß, dass ihn zumindest niemand gehört hatte. James schlich zur ersten Tür und presste sein Ohr dagegen. Nichts. Kein Laut. Vorsichtig drückte er die Eisenklinke. Die Tür sprang mit einem leichten Klicken auf. Der Raum dahinter war dunkel. James kramte Max’ Taschenlampe hervor und leuchtete in die Schwärze.
    Erschrocken wich er zurück, als der Lichtstrahl auf das fratzenhafte Gesicht einer großen Wildkatze fiel.
    Er atmete tief aus. Die Katze hatte sich nicht bewegt; ihre grimmige Miene war erstarrt, denn sie war ausgestopft und halb kaputt. Eine Hinterpfote fehlte und aus einem langen Riss in ihrem Bauch quoll Sägemehl. James leuchtete den Raum mit dem Strahl seiner Taschenlampe aus. Es befanden sich noch andere ausgestopfte Tiere darin: kleine Rehe, ein paar Füchse und in einer staubigen Glasvitrine ein paar Vögel. An einer Stange am Fenster hing eine Reihe mottenzerfressener Pelzmäntel.
    Alle Zimmer in diesem Geschoss schienen als Abstellräume zu dienen. Hinter den anderen Türen fand er alte Kleidungsstücke, Hüte, verbeulte Sportgeräte, vor sich hin modernde Bücher, Bilder, die von Wasser- und Stockflecken entstellt waren, blinde Spiegel, kaputte Möbelstücke, Kisten voller Papiere, die von Mäusen angefressen waren … der vergessene Trödel von unzähligen Generationen von Hellebores. Als er zur letzten Tür kam, öffnete er sie beiläufig und leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein in der Erwartung, noch mehr Gerümpel zu finden.
    Stattdessen fiel der Lichtstrahl direkt auf das Gesicht des schlafenden George Hellebore. James knipste die Taschenlampe sofort aus, doch George hatte sich schon bewegt und im Schlaf etwas vor sich hin gemurmelt.
    James drückte sich an die Wand und hielt so still, wie er nur konnte. George wälzte sich unruhig in seinem Bett und nach einer Weile schlief er wieder tief und fest.
    James’ Augen gewöhnten sich langsam an das Dämmerlicht, das durch die Vorhänge fiel. Er konnte einen riesigen schwarzen Kleiderschrank ausmachen, einen Schreibtisch, ein altertümliches Himmelbett und, mitten darin, George in einem gestreiften Nachthemd.
    James tastete nach der Türklinke, öffnete sie vorsichtig und schlüpfte hinaus.
    Ohne nachzudenken, eilte er den Korridor entlang und trat durch eine Tür am Ende des Ganges.
    Er fand sich auf dem Absatz einer steinernen Wendeltreppe wieder. Dieser Teil des Schlosses wurde von Gaslichtern an den Wänden erleuchtet, die ein trübes, flackerndes orangefarbenes Licht von sich gaben. Es war kalt und die Luft roch nach Gas und Feuchtigkeit. James beugte sich über das Geländer und blickte nach unten. Die Treppe führte zu einem Foyer mit schwarzweißen Marmorfliesen im Schachbrettmuster. Er musste also lediglich die Treppen hinunter und die Halle durchqueren und schon wäre er an der Vordertür.
    Was, wenn sie offen stünde? Was, wenn er tatsächlich unbemerkt hinausgelangen könnte? Was hätte er gewonnen? Konnte er wirklich zu Kelly zurückgehen und ihm erzählen, dass alles, was er entdeckt hatte, eine ausgestopfte Katze, einige alte Möbelstücke und der schlafende George Hellebore im gestreiften Nachthemd war? Was würde sein Freund dazu sagen?
    Andererseits, was genau hatte er zu finden gehofft? Die Leiche von Alfie Kelly in einem Schrank? Ein handgeschriebenes Geständnis von Lord Hellebore auf dem Schreibtisch? Nein, die Wirklichkeit sah anders aus. Da lauschte man nicht zufällig hinter einer Tür und hörte, wie der Oberschurke seinem Kumpanen haarklein erzählte, was er gemacht und wie er es gemacht hatte und was er als Nächstes machen würde. Es bestürzte James, dass er völlig unvorbereitet in das Schloss eingedrungen war und in Schuljungen-Manier geglaubt hatte, einem Geheimnis auf die Spur zu kommen, aber keine ernsthafte Vorstellung davon hatte, wie er es anfangen sollte.
    Er brauchte einen Plan.
    Ein alberner Spruch schoss ihm durch den Kopf. Ein Scherz, den er irgendwo aufgeschnappt hatte. »Rette, o Genie, dein Heil! Flieh nur Unheil! Flieh nur Unheil! Flieh nie deine Goetter!« Es war ein Palindrom, ein Satz, den man sowohl vorwärts als auch rückwärts lesen konnte.
    Nun gut, er hatte zwar einen lustigen Satz, aber weder war er ein Genie, noch hatte er einen Plan, wie er sich retten konnte.
    Werde nicht hysterisch, James, ermahnte er sich. Halte deine Gedanken beisammen! Konzentriere dich auf das, was du tun

Weitere Kostenlose Bücher