Stille Wasser
von dem Glanz vergangener Tage nur mehr wenig zu sehen. Sie lauschte in die Stille hinein, im Mund den Geschmack abgestandener Luft, und nahm den Geruch anderer Vampire wahr, die in der Nähe einen Schlafplatz gefunden hatten, wo sie friedlich der herannahenden Nacht entgegenträumten. Während der Stunden des grellen Tageslichts herrschte unausgesprochene Waffenruhe.
Es hatte etwas Beruhigendes, dass sie auf diese Weise immer wieder zusammenfanden, obwohl später, wenn die Nacht hereingebrochen war, jeder für sich allein auf die Jagd gehen würde. Doch sobald die Sonne ihr flammendes Zepter erhob, kamen sie wieder hierher, um sich, beschützt von den dicken Wänden und Stahltoren der verlassenen und vergessenen Kläranlage, ein wenig wohlverdiente Ruhe zu gönnen.
Tageslicht. Sie streckte sich und stieß ein Fauchen aus. Über ihr, draußen, ging die Sonne bereits unter. Doch sie konnte ihre unheilvolle Kraft immer noch spüren, sie durchdrang ihre Haut, brannte in ihren Adern. Obwohl dieser Ort sicher war. Voller Gestank zwar und abstoßend, aber dunkel. Es bestand keine Gefahr, dass irgendein Sonnenstrahl sich hierher verirrte –
Sie erstarrte, die Arme noch halb ausgestreckt, mitten in der Bewegung. Ihre raubtierhaften Sinne schlugen Alarm, teilten ihr mit, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
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Geräusche, ein schwacher Geruch, etwas bewegte sich, kroch an den Wänden entlang, störte den trägen Fluss der übel riechenden Ströme, die sich durch die Abwasserkanäle direkt unter ihnen wälzten. Etwas Lebendiges. Etwas, das nicht hierher gehörte.
»Alarm!«, brüllte sie heraus, sprang mit einem Satz los und stolperte prompt über einen anderen Vampir, der sich auf einer Palette zu ihren Füßen zum Schlafen hingelegt hatte.
Sie konnte sich gerade früh genug wieder aufrappeln, um zu sehen, wie etwa ein Dutzend schattenhafter Gestalten in den Raum hineinstürmte und über das Nest hereinbrach. Die anderen Vampire kamen schlaftrunken auf die Beine und hatten kaum eine Chance, ihre Lage zu erfassen, bevor die Fremden auch schon über ihnen waren. Fangzähne blitzten auf, scharfe Klauen rissen an Muskeln und Sehnen, grünes Merrowblut und rotes Vampirblut flossen in Strömen, gleichermaßen schwarz im Halbdunkel des Raumes. Niemand schrie, niemand brüllte. Knurrend und fauchend schlugen sie aufeinander ein und bissen sich fest.
Und starben.
Für einige von ihnen eine völlig neue Erfahrung. Für andere ein alter Hut.
Die Luft war angenehm, kühl, doch nicht kalt, und Willow hielt behaglich ihr Gesicht in die milde Abendbrise. Die Momente, in denen sie nach Einbruch der Dämmerung noch draußen sitzen und einfach nur den Augenblick genießen konnte, waren in letzter Zeit äußerst rar gewesen. Doch die Vordertür des Hauses, in dem Buffy und ihre Mutter lebten, stand sperrangelweit auf, für den Fall, dass irgendetwas Unvorhergesehenes geschah, und die Verandabeleuchtung würde sich automatisch einschalten, sobald es dunkel genug war. In dem Augenblick, in dem sie anging, würden sie hineingehen.
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Nebenbei bemerkt, sie war nicht alleine hier. Buffys Mom saß drinnen am Esszimmertisch und war mit irgendwelchem Schreibkram beschäftigt, während Buffy selbst nur wenige Schritte von Willow entfernt mit Ariel Fangen spielte, in der Hoffnung, sie dabei so sehr zu ermüden, dass sie sich ohne viele Mätzchen wieder zu Giles schaffen ließ.
»Hey.«
Willow sprang auf, ihren Pflock mit der Spitze voran dem Gegner entgegengestreckt, und...
... stieß die Luft aus. Vorwurfsvoll schaute sie Angel an.
»Glöckchen! Schellen! Irgendwas, okay?«
»Sorry.«
Buffy tauchte an ihrer Seite auf, wobei sie Ariel, die völlig fasziniert die genauere Beschaffenheit eines Baumstamms zu ergründen suchte, für einen Augenblick sich selbst überließ.
»Hey. Du bist früh dran.« Und dann, zu ihrer Freundin gewandt: »Will, das Kind ist eine echte Landplage. Sie hat mehr Energie als... na ja, jedenfalls etwas mit jeder Menge Energie. Ich weiß nicht, wie Giles es schafft, mit ihr fertig zu werden.«
»Mit jeder Menge Genörgel«, entgegnete Willow und Buffy konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ihr Wächter hatte mehr als nur genörgelt, als sie seine Wohnung verließ. Völlig zerknirscht hatte er ihr gestanden – er, der so gut wie niemals zugab, mit seinem Latein am Ende zu sein –, seine Geduld sei in genau jenem Moment an den Grenzen ihrer Belastbarkeit angelangt, als Ariel beschlossen
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