Stille Wasser
Buffy spürte wenig von dem Adrenalin, das für gewöhnlich durch ihre Adern jagte, wenn sich die Gelegenheit bot, einen Haufen Dämonen plattzumachen. Irgendetwas an der Sache störte sie. Es hing, wieder einmal, mit ihren Alpträumen zusammen. Im Grunde hatte das Szenario, das sich ihr bot, keinerlei Ähnlichkeit mit dem aus ihren Träumen, sah man einmal davon ab, dass es hier unglaublich nass und feucht war, doch das entsetzlich beklemmende Gefühl war das gleiche.
Angel stieg behutsam über die verstümmelten Leiber hinweg, bückte sich gelegentlich, um irgendeine der abgerissenen Extremitäten aufzuheben und nachdenklich zu betrachten. »Sie haben sich anscheinend heftig gewehrt«, stellte er fest und sprang zur Seite, als ein noch nicht völlig bewegungsunfähiger Vampir nach seinem Bein zu schnappen versuchte.
»Viel genützt hat es ihnen offenbar nicht.« Buffy hielt sich dicht hinter ihm und pfählte einen Vampir nach dem anderen, sobald Angel ihr mit einem Nicken bedeutete, dass er seine jeweilige Untersuchung beendet hatte. Ein außer Gefecht gesetzter Vampir war gut, ein zu Staub zerbröselter allemal besser. »Aber wir haben immer noch keine Ahnung, von wem sie eigentlich angegriffen worden sind. Irgendwas aus dem Meer jedenfalls, nehme ich an. Ich hätte bereits früher an die Abwasserkanäle denken sollen. Allerdings kann ich hier nur Vampire entdecken, nicht eine einzige andere Kreatur.«
»Sie haben ihre Toten und Verwundeten mitgenommen«, sagte Angel leise. »Wer immer sie auch sind. Das bedeutet, dass zumindest einige von ihnen noch irgendwo da draußen sind.«
»Heißt da draußen auch hier unten?«
»Gute Frage. Warte hier.« Und mit diesen Worten war er bereits in dem Tunnelgang verschwunden und ins Dunkel eingetaucht.
»Ist klar. Ich bleib dann mal hier und räum ein bisschen auf.«
Sie setzte ihre Pfählaktion fort, mit einer Serie perfekt 105
ausgeführter Sprungkombinationen, die ihrem Wächter vor Stolz das Herz in der Brust hätte schwellen lassen.
Sie gähnte gekünstelt. »Wie langweilig...« Doch ein ungutes Gefühl hatte sie nach wie vor.
Gerade als sie dem letzten Vampir den Gnadenstoß versetzt hatte, tauchte Angel wieder auf. »Sieht aus, als wären sie über alle Berge. Zu blöd, dass hier überall dies ekelhafte Zeug ist.«
Er wies mit einer Geste auf die zäh fließende Brühe zu seinen Füßen. »Alle Spuren sind verwischt.«
»Nein, nicht alle«, erwiderte Buffy. Sie hielt für einen Moment die Luft an, bückte sich und zerrte an etwas Glitschigem herum, das sich um einen ihrer Stiefel gewickelt hatte.
»Seetang«, meinte Angel und machte eine wegwerfende Bewegung.
»In den Abwasserkanälen? So weit weg vom Meer? Glaub ich nicht.« Sie betrachtete ihr Fundstück und ließ es prüfend durch die Finger gleiten. »Angel, das ist Haar.« Sie hielt es in das spärliche Licht, das den weiten Weg in diese feuchte Gruft gefunden hatte.
»Ziemlich grünes Haar«, fügte sie verblüfft hinzu.
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Buffy schaute auf die geschlossene Bibliothekstür, runzelte die Stirn und ließ ihren Blick über den Korridor wandern. Giles’
Vorstellung von einem Hochsicherheitstrakt für Wächter: Zwar hatte die Bibliothek während der Unterrichtszeit jederzeit geöffnet zu sein, doch ein Türschild mit der Aufschrift WEGEN
BESTANDSAKTUALISIERUNG GESCHLOSSEN reichte für gewöhnlich aus, um etwaige Büchereibenutzer davon abzuhalten, einfach hineinzuplatzen – was wiederum Giles einige wertvolle Sekunden verschaffte, die eine oder andere Tarnmaßnahme zu ergreifen, womit auch immer sie gerade beschäftigt sein mochten.
Okay, welchen Zauberspruch mögen sie wohl gerade ausprobieren?, fragte sich Buffy.
Eigentlich wollte sie es gar nicht wissen. Sie und Angel hatten die ganze Nacht in der Kanalisation nach weiteren Spuren gesucht und obwohl sie sich anschließend unter der Dusche förmlich die Haut vom Leibe geschrubbt hatte, war sie sich immer noch völlig verdreckt vorgekommen. Für ein oder zwei Stunden war sie in einen tiefen und glücklicherweise traumlosen Schlaf gefallen. Anschließend hatte sie sich tatsächlich etwas besser gefühlt, doch ihr Stimmungsbarometer stand nach wie vor auf Sturm.
Trotzdem war die Nacht keine Zeitverschwendung gewesen.
Zum einen gab es jetzt ein paar Vampire weniger, mit denen sie sich herumprügeln musste. Zum anderen war da diese wirklich sonderbare Haarsträhne, die sie gefunden hatten...
Angel war nicht davon zu überzeugen gewesen,
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