Stiller Tod: Thriller (German Edition)
als Zehnjährigem solche Angst bereiteten, als seine Mutter ihn gegen seinen Willen mit auf eine Pilgerreise nach Indien nahm.
Das ganze Bollwerk, das Exley gegen Spiritualität und Glauben errichtet hat, nachdem er den Aschram verlassen hatte, Ziegelsteine aus kühler empirischer Logik und höhnischen Witzen über den mystischen Schwachsinn, den seine Mutter verzapfte, bröckelt um ihn herum, und aus dem Staub steigen Götter. Rachgierige, aufdringliche Götter. Und wenn diese Gottheiten nahen, haben sie ihre dunklen Spielkameraden im Schlepptau.
Deshalb geht Exley, bedeckt mit Sunnys sterblichen Überresten, auf Nummer sicher und richtet seine Appelle und Gebete und Bestechungsversuche und Versprechen an Götter und Teufel gleichermaßen: Gebt mir meine Tochter zurück, und ihr könnt die kläglichen Reste meiner Seele haben.
KAPITEL 42
Im harten Morgenlicht kommen Dawn Bedenken, als sie Brittany die geklauten Sachen anzieht. Obwohl sie am Vorabend nur Cola getrunken hat, brummt ihr der Schädel, und ihre Augen im Spiegel sehen gelb aus.
Brittany sprüht dagegen vor Leben. »Wo gehen wir hin, Mommy?«
»An den Strand, Schätzchen«, sagt Dawn zerstreut. Sie setzt sich auf das ungemachte Bett und steckt sich eine Zigarette an. Hustet.
Ihr Plan, sich zusammen mit Britt irgendwie in das Leben des reichen Nick Exley zu schleichen, kommt ihr inzwischen grausam und hässlich vor. Verzweifelt. Zwischen ihm und ihr hat es neulich geknistert, keine Frage, aber das heißt noch gar nichts. Der Typ kann vor Trauer nicht mehr geradeaus sehen. Brittany mit zu ihm zu nehmen könnte nach hinten losgehen, und zwar gewaltig. Jetzt mit einem Kind zusammenzusein ist vielleicht das Letzte, was er gebrauchen kann, noch dazu mit einem Mädchen, das aussieht wie seine tote Tochter. Statt die Anziehung zu festigen, ihn noch stärker an sie zu binden, erreicht sie vielleicht nur, dass er sich zurückzieht und sie ihn verliert.
Ihr Telefon klingelt. Vernon. »Ja?«
»Ich bin unten«, sagt er.
»Wir kommen.«
Sie schnappt sich die Korbtasche mit Handtüchern und Sonnencreme und einem Badeanzug für Britt, nimmt dann ihre Tochter an die Hand.
»Komm!«
Sie gehen an Mrs. de Pontes’ Tür vorbei, und Dawn verharrt einen kurzen Moment, will schon anklopfen und der Alten fünfzig Rand in die Hand drücken und Brittany bei ihr lassen. Doch die Kleine hüpftschon weiter, singt vor sich hin und ist so fröhlich, wie Dawn sie schon lange nicht mehr erlebt hat, und sie bringt es nicht übers Herz, sie so zu enttäuschen.
Also gehen sie die Treppe hinunter – irgendein obdachloser Saftsack hat im Eingangsflur eine stinkende Lache Pisse hinterlassen – und raus zu dem Civic, in dem Vernon wartet. Seine Augen gleiten hinüber zu Brittany, als sie am Wagen ankommen und Dawn den Beifahrersitz nach vorne klappt, damit das Kind hinten einsteigen kann. Die Strandtasche danebenstellt.
»Was wird das?«, fragt Vernon. Er sieht beschissen aus, die Haut grau und verschwitzt.
»Krieg heute keinen Babysitter.«
Vernon verdreht den Hals und starrt Brittany an, und dann lacht er sein hohles Lachen.
»Mein Gott, Dawn, du bist ein echtes Luder.«
»Wieso?«, fragt sie, während sie sich neben ihn setzt und den Sicherheitsgurt anlegt.
»Tu nicht so unschuldig. Ich weiß, was du vorhast.« Sie sagt nichts, und er startet den Wagen. »Eins muss ich dir lassen, du bist verdammt grausam.«
Er steuert den Civic in den Verkehr, der Richtung Kapstadt fließt, und Brittany singt ein selbst ausgedachtes Lied über die Sonne und den Strand und die kleinen Fische.
»Sag deiner Göre, sie soll die Klappe halten«, sagt Vernon.
Dawn dreht sich um und legt einen Finger an die Lippen. »Schsch, Schätzchen, Onkel Vernon hat Kopfschmerzen.«
Brittany verstummt, und auf der ganzen Fahrt dahin, wo die Reichen wohnen, fällt kein Wort mehr.
Exley arbeitet, bis er brennende und blutunterlaufene Augen hat, Leber und Blut dick und träge sind von sauren Chemikalien und er mit Krämpfen in der rechten Hand die Maus durch die letzten Schritte zur Vollendung seiner Schöpfung führt.
Alle Alchemie, die er aufbieten konnte – niedere Magie und Gebete und Versprechungen an Götter und Teufel zugleich –, ist aufgebraucht. Jetzt wird sich zeigen, ob es ihm gelungen ist, seine Tochter da draußen, wo die Toten sind, einzufangen und zurück nach Hause zu holen.
Er murmelt leise vor sich hin, das Herz schlägt ihm rasch und dünn in der Brust, als er den Render-Button
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