Stiller Tod: Thriller (German Edition)
kehligen Akzent seiner Mutter.
»Gern geschehen«, antwortet er und setzt sich auf den Felsen neben Dawn. Das Kind summt vor sich hin und flüstert dem Bären ins Plüschohr.
»Es tut mir aufrichtig leid, Dawn«, sagt Exley.
»Bitte, ist schon gut. Ehrlich. Ich versteh das. Sie müssen sich schrecklich fühlen.« Dawn legt ihre Hand auf seine. »Ich denke, wir sollten vielleicht besser gehen.«
»Nein«, sagt er, und er kann die Verzweiflung in seiner Stimme hören. »Bitte gehen Sie nicht. Ich möchte wirklich, dass ihr beide bleibt.« Er sieht das Mädchen an. »Was meinst du, Brittany? Wir könnten baden und Sandburgen bauen und mittags was von McDonald’s holen.«
Das Kind denkt einen Moment nach, überlegt, ob man ihm vertrauen kann, konsultiert den Bären, indem es ihm wieder was ins Ohr flüstert und nickt dann. »Mr. Brown sagt Ja.«
»Gut. Prima.« Er steht auf. »Dawn, ich muss dringend duschen. Aber bitte, fühlen Sie sich ganz wie zu Hause. Okay?«
Sie blickt unsicher, nickt aber. Exley geht durchs Wohnzimmer und sieht, dass Vernon Saul nicht mehr da ist. Auf halbem Weg die Treppe hinauf erfasst ihn ein Schwindelgefühl, das sich allerdings schnell wieder legt, und er steigt die letzten Stufen hoch. Vor der Tür zu Sunnys Zimmer bleibt er stehen, tritt aber nicht ein. Zum ersten Mal seit ihrem Tod schließt er die Tür und geht weiter zur Dusche.
Er zieht sich aus und stellt die Dusche auf kalt, lässt sich von dem eisigen Wasser wachtrommeln, sieht Sunnys Asche von sich abgleiten und wirbelnd im Abfluss verschwinden. Dann stellt er das Wasser so heiß, dass er es gerade noch aushält, ehe er es wieder auf kalt dreht. Wiederholt diesen Vorgang ein paarmal, ringt nach Luft.
Exley spürt irgendwas in seiner Brust, Muskeln krampfen, und einen Moment lang ist er ganz sicher, einen Herzinfarkt zu bekommen, dann löst sich die Spannung, und schlagartig strömt ihm eine Tränenflut übers Gesicht, vermischt sich mit dem Duschwasser.
Er setzt sich hin, an die Fliesen gelehnt, die Arme herabhängend, und lässt den Schmerz und die Trauer in sich aufsteigen. Als er nicht mehr weinen kann, steht er auf und dreht die Dusche aus. Trocknet sich ab. Träufelt sich ein paar Augentropfen in die Augen, die ihn aus dem Spiegel anstarren, eine Höhenlinienkarte aus geplatzten Äderchen. Er putzt sich die Zähne, fährt mit der Bürste auch über die Zunge, rasiert sich, kämmt sich die Haare und zieht ein frisches T-Shirt und schlabbrige Badeshorts an.
Exley geht die Treppe hinunter, ist sicher, dass Dawn ihr Kind genommen hat und geflohen ist. Doch sie steht am Wasser, passt auf die Kleine auf, die jetzt einen rosa Badeanzug trägt und in den Wellen planscht. Sein Telefon liegt auf dem Wohnzimmertisch, blinkt und klingelt. Unbekannter Anrufer.
Als er rangeht, hört er Vernon Sauls Stimme: »Sie haben Glück. Er ist tot. Es ist vorbei.«
Exley legt auf. Er denkt an die Familie des Cops. Dann verstaut er diesen Gedanken in einer Kiste zusammen mit den anderen Dingen, die Entsetzen und Schuldgefühle bei ihm auslösen, und wirft diese Kiste auf die Giftmülldeponie tief in seinem Inneren. Alles Kram, mit dem er sich irgendwann befassen muss, das weiß er.
Aber nicht jetzt.
Er geht ins Studio und nimmt den Raum mit anderen Augen wahr. Er ist ein Saustall. Trotz der Klimaanlage stinkt es nach Tagen des Wahnsinns, nach Marihuana und Alkohol und altem Schweiß. DieUrne ist offen, ihr Deckel umgedreht neben der Tastatur. Exley ekelt sich vor sich selbst, als er in die Urne starrt und die letzten Reste der Asche seiner Tochter auf dem Boden sieht. Er legt den Deckel wieder auf, trägt den Behälter zu dem Stahlschrank und schließt ihn ein.
Die Maus fühlt sich klebrig an, als er den Sunny-Ordner anklickt und sämtliche Dateien darin löscht. Die MoCap-Daten. Die Referenzfotos und die Texture Map. Das Modell, von dem er förmlich besessen war. Während die Festplatte vor sich hin rödelt und alle Spuren des digitalen Doppelgängers seiner Tochter aus ihrem Gedächtnis löscht, schließt Exley die Augen, eine Aureole aus Nachbildern wirbelt ihm kurz durch den Kopf und verblasst dann zu nichts. Er schaltet die Workstation ab und hört, wie sie mit einem Seufzen still wird.
Er schaltet das Licht aus, geht aus dem Studio und schiebt die Tür zu. Durchquert das Wohnzimmer und tritt hinaus in die Sonne, noch immer benommen, noch immer nicht ganz da, noch immer nicht richtig er selbst. Aber doch leichter als zuvor.
Exley
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