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Stiller Tod: Thriller (German Edition)

Stiller Tod: Thriller (German Edition)

Titel: Stiller Tod: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Smith
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klingt wie jemand von nirgendwo. Vernon hinterlässt keine Nachricht.
    Er sitzt eine Weile da, versucht, seine innere Unruhe einzudämmen. Weiß, dass er sich verrechnet hat. Schon wieder. Exley zu etwas gedrängt hat, das zu viel für ihn gewesen ist, etwas, das für sie beide das Ende bedeutet. Er lässt den Wagen an, will rüber nach Llandudno brausen und sich Nick Exley vorknöpfen.
    Doch er stellt den Motor wieder ab und beruhigt sich. Er hat ein Alibi. Wenn er jetzt quer durch die Stadt heizt und in Exleys Nähe gesehen wird – an seinem Sniper-freien Abend – macht er sich verdächtig. Er muss die Dinge erst mal laufen lassen.
    Vernon geht zurück in den Club. Eine alte Nummer von den Rolling Stones hämmert vor sich hin, Mick Jagger singt von der »ti-yi-yi-yime«, die auf seiner Seite ist. Dawns Ersatz – ein schwabbeliges weißes Etwas mit gefärbten Haaren, teigiger Haut und Blutergüssen – ist auf der Bühne, nackt, und der Anblick, wie sie ihr Ding spreizt, ist so, als würde man bei einer Operation am offenen Herzen zusehen.
    Das Studio ist blau verqualmt, leere Gin- und Tequilaflaschen stehen im Kreis um die Workstation, und Jointstummel liegen wie abgebrochene Zähne verstreut neben der Tastatur. Exley nimmt die größteKippe und hantiert mit dem Feuerzeug herum, verbrennt sich die Finger, ohne es zu merken, saugt hektisch, inhaliert Rauch und atmet ihn aus, ihm dreht sich der Kopf, aber er braucht mehr – viel mehr –, um das Entsetzen in Schach zu halten.
    Dann liefert ihm sein flattriger Verstand einen Schnappschuss von dem lächelnden Shane Porter, wie er ein Röhrchen zwischen Daumen und Zeigefinger hochhält, in dem eine blauweiße Pille rasselt. Exley geht aus dem Studio und findet den Weg hinaus auf die Veranda. Weiter draußen zischt und faucht der schwarze Ozean. Das Glasröhrchen liegt nicht auf dem Tisch, und Exley fragt sich, ob er sich das Ganze nur eingebildet hat. Er geht in die Hocke, widersteht dem Drang, einfach auf die Fliesen zu sinken und sich ganz klein zusammenzurollen, sucht, bis er unter einem der Stühle ein glänzendes Meniskenglas sieht, das ihm zuzwinkert.
    Exley öffnet das Behältnis – es kostet ihn alle Konzentration, um seine zitternden Hände ruhig zu bekommen – und kippt sich die Pille auf die Zunge. Wenn er das Kügelchen zerkaut, tritt die Wirkung schneller ein, also beißt er darauf und setzt ein übles Gemisch aus Schwefel und Galle frei. Von dem grässlichen Geschmack muss er fast kotzen. Er zaubert von irgendwo Speichel her, lutscht damit die bitteren Rückstände ab, die ihm an den Zähnen kleben, und schluckt.
    Die Wirkung der Droge ist unmittelbar, und als er aufsteht, zündet irgendwo tief in seinem Bauch ein Energiestoß, schießt ihm das Rückgrat hoch und oben zur Schädeldecke hinaus. Was seine Mutter das Kronenchakra nennen würde. Das Sahasrara. Ein Kundalini-Erwachen, würde sie sagen.
    Aber es ist kein Augenblick der Erleuchtung. Bloß Chaos und Verwirrung und chemische Überflutung. Die Welt zischt an Exley vorbei, Bewegungsunschärfe tobt in grellen Lichtexplosionen am Rande seines Gesichtsfeldes. Als er die Hände hebt, um sich an der Schiebetür abzustützen, dringen seine Finger durch die Scheibe, und der Rest seines Körpers – eine diffuse Anordnung von Partikeln und Staub – folgt ihnen.
    Ohne zu wissen wie, ist er auf einmal in Sunnys Zimmer, drückt ihr Kissen an sich. Inhaliert ihren Duft. Saugt was immer von ihr geblieben ist in sich hinein.
    Dann werden die Ränder der Zeit unscharf und zerfließen wie Eigelb, und er sitzt wieder an seinem Computer. Er kann unmöglich sagen, ob es Tag oder Nacht oder jetzt oder später ist, und ihm bleibt nur, die Maus zu nehmen und weiterzuarbeiten. Eine neue Wirklichkeit zusammenzusetzen, Mausklick für Mausklick, das Unmögliche anzustreben, über alles hinauszugehen, was er je gemacht hat, indem er versucht, das Licht einzufangen, das von innen aus Sunnys Gesicht leuchtet. Das Licht des Bewusstseins. Das Licht der Seele seiner Tochter.
    Er wird sich nie daran erinnern können, wie es dazu gekommen ist, aber irgendwann hockt er hemdlos, barfuß auf seinem ergonomischen Sessel, reißt den Deckel von der silbernen Urne und krallt die Finger in das, was von Sunny geblieben ist, schmiert sich ihre pulvrige Asche auf Kopf und Oberkörper wie ein Aghori – die vom Tod besessenen Asketen, nackt und mit Dreadlocks, die sich wie Gespenster an Varanasis Verbrennungsplätzen aufhalten und die ihm

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