Stiller Tod: Thriller (German Edition)
anruft?«
»Sie hat kein Guthaben mehr auf ihrem Handy. Bitte, machen Sie schon, ich bin spät dran.«
Die Alte öffnet die Tür, und Brittany steht neben ihr, hält einen kleinen Bären im Arm. »Kennst du den?«, fragt die alte Schachtel und zeigt mit einer Klaue auf Vernon.
»Ja, das ist Onkel Vermin.«
»Ich Dawn anrufe«, sagt die Alte, greift in die Tasche ihres Kleides und holt ein riesiges, schwarzes Nokia hervor, das mindestens so alt ist wie sie.
Wenn das Kind nicht dabei wäre, würde Vernon der alten Schachtel die Lampen ausknipsen, für immer, aber er kann die Kleine nicht verschrecken, braucht sie schön brav und fügsam.
Also setzt er ein Lächeln auf und sagt: »Die werden Sie jetzt nicht erreichen. Sie ist mit Nick ins Kino gegangen.«
»Kino?«
»Ja. Ich treffe mich hinterher mit ihnen. An der Waterfront.«
Die alte Portugiesin wirkt argwöhnisch, dann lässt Vernon sie noch einen Blick auf sein Portemonnaie werfen, und die Gier gibt den Ausschlag.
Sie lässt das Handy sinken. »Okay, geben Geld.«
Vernon rückt noch einen Schein raus, und die Frau holt Brittanys Tasche, und Vernon nimmt das Mädchen an der Hand und geht mit ihm die Treppe hinunter.
»Fahren wir an die Waterfront, Onkel Vermin?«
»Ja«, sagt er.
»Zu Mommy und Onkel Nick?«
»Ja.«
Sobald sie auf dem Bürgersteig sind, zeigt er auf einen Imbiss. »Willst du ’nen Saft?«
Sie nickt. »Guave.«
Vernon geht zu dem Stand und bestellt. Der picklige Junge hinter dem Tresen füllt einen Plastikbecher mit einer leuchtend rosa Matsche aus einem Glasbehälter, steckt noch einen geriffelten Strohhalm rein und reicht Vernon den Becher.
Vernon verfrachtet das Kind auf den Rücksitz des Civic, sagt ihm, es soll sich anschnallen, und während es mit dem Gurt kämpft, steht er neben der Fahrertür, stellt den Saft aufs Autodach und holt Docs Fläschchen aus der Tasche. Er löst die Kappe, träufelt zehn Tropfen in die Flüssigkeit und rührt mit dem Strohhalm um. Er schraubt die Kappe wieder auf das Fläschchen und verstaut es, dann rutscht er hinters Lenkrad. Das Kind müht sich noch immer mit dem Gurt ab, hat vor lauter Konzentration die Zungenspitze rausgestreckt.
»Hier«, sagt er, gibt der Kleinen den Saft und rastet den Gurt für sie ein. Sieht zu, wie sie einen schönen, kräftigen Zug von dem Spezialdrink nimmt.
Vernon lässt den Wagen an, drängelt sich in den fließenden Verkehr, beobachtet Brittany im Rückspiegel. Sie sind kaum zwei Häuserblocks weit, da fallen ihr allmählich die Augen zu. Er hält an einer Ampel, zieht ihr den Plastikbecher aus den Fingern und wirft ihn in den Rinnstein. Die Ampel wird grün, und er fährt weiter, behält die Kleine im Auge. Sie ist weggetreten, das Kinn auf der Brust, der Kopf wackelt bei jedem Schlagloch.
»Doc«, sagt er, »du wunderbarer Sauhund.«
KAPITEL 53
Gott allein weiß, wie Yvonne Saul den Tag überstehen soll. Die Sonne steht hoch und gnadenlos am Himmel, pumpt Hitze durch das Wohnzimmerfenster herein. Yvonne sitzt auf dem Sofa, und Schweiß perlt ihr zwischen den Brüsten und an den Oberschenkeln herab. Sie zwingt ihre Augen, sich auf die blinkende grüne Anzeige des DVD-Players einzustellen, sieht, dass es nach vier Uhr nachmittags ist, und sie weiß nicht, wie lange sie schon so dasitzt, ohne sich zu bewegen.
Yvonne fühlt sich schwach. Losgelöst. Ihr Körper schreit nach Insulin. Ihr Vorrat ist aufgebraucht, und sie hat sich seit fast vierundzwanzig Stunden nicht mehr gespritzt. Seit gestern versucht sie, Vernon zu erreichen, hat ihm Nachrichten auf die Mailbox gesprochen, ihn angefleht, zur Apotheke zu fahren. Er hat nicht zurückgerufen, und jetzt ist ihr Telefonguthaben erschöpft, und sie hat keinen Cent im Haus.
Als sie aufsteht, um etwas Wasser zu trinken, wird ihr schwindelig und sie muss sich mit einer Hand auf dem Fernseher abstützen, stößt dabei eine Teetasse um, die auf den Boden fällt und zerspringt. Sie schlurft in Pantoffeln durch die Scherben und in die Küche. An der Spüle dreht sie den Hahn auf, das Wasser warm wie Blut, als sie die Hand darunterhält. Sie lässt es laufen, spürt, wie es ein wenig abkühlt, aber kalt wird es nie werden.
Sie macht ein Geschirrtuch nass und drückt es sich ans Gesicht, auf Stirn und Augen, sieht helle Lichter wie Sternschnuppen. Yvonne atmet tief ein, lässt das Geschirrtuch fallen, blickt aus dem Küchenfenster. Weiß, dass sie tatsächlich halluziniert, als dieser kranke kleine Exknacki von nebenan
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