Stiller Tod: Thriller (German Edition)
Erasmus den Kopf zu Brei geschlagen hat, und wischt mit dem Rand seines T-Shirts seine Fingerabdrücke von sämtlichen Stellen, die er seiner Erinnerung nach berührt hat. Dann steckt er Vernons Schlüssel in die Tasche, lässt den Wagen unverschlossen und trabt zurück zu Dawn, die bei laufendem Motor im Audi wartet.Dawn lässt sich von Nick zurück in ihre Vergangenheit fahren und lehnt das Gesicht ans Seitenfenster, als sie die Brücke von der Voortrekker Road nach Paradise Park überqueren, sieht einen langen Zug unter ihnen dahingleiten, die Fenster ein gelber Strom aus Licht.
Sobald sie von der Brücke runter sind, erfasst sie der heiße Wind, der die Flats regelmäßig heimsucht, lässt den Audi in seiner Federung wippen. Weht das schrille, besoffene Lachen ihrer Mutter herbei und das Geräusch ihrer High Heels, die über den Zementboden des Hauses klappern, wenn sie Dawn alleinlässt. Weht den pfeifenden Atem ihres Onkels herein und das Gekicher ihrer pickligen Vettern, wenn sie ins Schlafzimmer kommen, und obwohl Dawn den Kopf unter dem Kissen verbirgt, gibt es kein Entkommen.
Niemals.
Aber sie sieht nicht ihren Kopf unter dem Kissen, sie sieht Brittanys, und die Panik, die Dawn empfindet, reißt sie hoch, und sie packt Nicks Bein, quetscht es so fest, dass ihre Finger Blutergüsse hinterlassen werden.
»Alles okay mit dir?«, fragt er.
Sie nickt, aber es ist nicht alles okay mit ihr. Sie bekommt den Gedanken nicht aus dem Kopf, dass ihr Kind von Vernon Saul gekidnappt wurde, während sie Nicks Schwanz ritt und an nichts anderes dachte als an ihre eigene Lust.
Dawn möchte Nick drängen, schneller zu fahren, obwohl sie weiß, dass das nicht geht, und sie sieht die hässliche Enge vorbeiziehen, die Nacht taghell von den orangegelben Lichtmasten. Die Straßen sind mit Müll übersät, der gegen die Stachel- und Maschendrahtzäune rund um die Häuserkästen weht. Wäsche flattert von den Fenstern und Balkonen der niedrigen Mietshäuser, Betonbunker, die auf dem treibenden Sand kauern.
Sie hat herumtelefoniert und Vernons Adresse rausgefunden, tief in Paradise Park, Richtung Dark City. Das Revier der Gang 28s in diesem von Gewalt zerfressenen Höllenloch. Ihr ist klar, wie auffällig sie in dem Audi sind – sie könnten von Gangstern ins Visier genommenoder von den Bullen angehalten werden –, aber sie brausen weiter. Dawn sagt Nick, wie er fahren muss, ein Navi würde ihm in diesem Labyrinth nichts nützen.
Sie betet lautlos, dass sie ihr Kind in Vernon Sauls Haus findet. Lebend.
Sie sagt sich immer wieder, dass Vernon sie nur von Nick wegholen, sie wieder unter Kontrolle bringen wollte und dass er Britt deshalb entführt hat. Dass er sich ihr Kind geschnappt hat, um ihr zu zeigen, dass er es kann, jederzeit – das oder noch Schlimmeres, wenn sie ihm nicht gehorcht.
Das muss die Wahrheit sein.
Nick überholt ein Sammeltaxi, und irgendwer ruft was, das in der Kehle des Windes stecken bleibt. Sie kommen an eine Kreuzung, ein paar junge Arschlöcher stehen an einen Verteilerkasten gelehnt, der mit Gang-Graffiti beschmiert ist, fixieren sie, ihre T-Shirts im Wind gebläht wie Spinnaker.
Dawn legt die Finger auf die Glock, die auf ihrem Schoß liegt. Sollen sie’s doch versuchen. Aber sie tun nichts, glotzen bloß, und Exley fährt weiter.
»Da rein«, weist Dawn ihn an, und sie biegen in eine weitere enge Straße mit identischen Häusern, die dicht aneinanderstehen wie ungleichmäßige Zähne. »Jetzt langsamer!«, sagt sie und sucht nach Hausnummern. »Okay, stopp!«
Sie stehen vor einem Haus mit einer Betonmauer, an der einige Platten fehlen, die Pfosten schief geneigt. Dawn ist schon raus aus dem Auto, die Glock dicht am Körper. Sie ist keine perfekte Schützin, aber sie hat genug Zeit mit Zuhältern und Dealern verbracht, um zu wissen, wie man mit einer Waffe umgeht. Überhaupt, was gibt’s da groß zu lernen? Zielen und abdrücken.
Sie steigt durch die kaputte Mauer, trabt zur Haustür und dreht den Knauf, der im Straßenlicht silbern glänzt. Abgeschlossen. Sie klopft. Aus dem Inneren des dunklen Hauses ist nichts zu hören. Sie klopft noch einmal, und Nick ist neben ihr. Sie hört das Klimpergeräuschvon Vernons Schlüsseln, als er erst einen, dann noch einen ausprobiert und die Tür aufschließt. Sie betreten ein Zimmer, und ein gelber Streifen Licht von der Straßenbeleuchtung folgt ihnen hinein.
Dawn sieht etwas – jemanden – auf dem Boden liegen, und ihr rast das
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