Stiller Tod: Thriller (German Edition)
etwas Mitgefühl von ihm. Er schlug ihr ins Gesicht. Sie sprang von ihm weg, eine Hand an der Wange, starrte ihn an.
»Du bewegst sofort deinen verdammten Stinkearsch aus meinem Zimmer«, sagte er. »Von jetzt an hörst du auf mich und tust, was ich dir sage, sonst mach ich mit dir dasselbe, was ich mit ihm gemacht hab.« Das Miststück wich von ihm zurück, und nun lag eine andere Art von Hölle in ihren Augen. »Kapiert?«
Sie kapierte.
Vernon sitzt auf dem Felsen, über zwanzig Jahre später, und kann noch immer die Genugtuung spüren, das Machtgefühl, als wäre es gestern gewesen. Der Wendepunkt in seinem Leben. Hat ihn zu dem gemacht, was er heute ist.
Das Handy summt in seiner Tasche, und er zieht es raus. »Ja?«
Es ist der Schwarze im Wachhäuschen. Caroline Exley kommt nach Hause. Vernon, im Schatten perfekt getarnt, hört das helle Jaulen des Landrovers, sieht ihn schwankend auf das Haus zuholpern. Das automatische Tor öffnet sich ratternd, und der Landrover rollt hinein. Er hört das Echo des Motors in der Garage, ehe er ausgestellt wird. Nach wenigen Minuten gleitet die Tür zur Veranda auf, und die Frau tritt heraus, steht einen Moment da und starrt auf den Ozean, dann verschwindet sie im Inneren.
Vernon bleibt sitzen. Wartet.
KAPITEL 22
Die Stimmen sind zurückgekehrt. Ein dunkler Gespensterchor, der kreischend von Mord und Tod und Hölle und Verdammnis singt. Die Energie, die Caroline aus ihrer Wut auf Nick bezogen hat – der daraus entstandene Schutzwall, die Isolierschicht gegen ihre Emotionen – verschwunden.
Jetzt spürt sie nur noch das unaufhaltsame Abgleiten in einen verheerenden Zusammenbruch, und sie ist allein, ohne ihre Medikamente und ohne ihren Mann. Runter nach Hout Bay zu fahren, um sich neue Tabletten zu besorgen, ist ein zu großer Akt, und Nicks Rückkehr liegt in einer unvorstellbar fernen Zukunft.
Sie ist panisch.
Caroline hat zwei Zusammenbrüche gehabt. Einen nach Sunnys Geburt und einen drei Jahre später, als sie in London lebten. Ihr Psychiater, ein fader asexueller Mann mit Praxisräumen in einem anonymen Ärztezentrum im grünen Constantia, versichert ihr immer wieder, dass sie einen weiteren Zusammenbruch verhindern kann, solange sie gewissenhaft jeden Tag ihre Tabletten schluckt und Stress abbaut – als ginge es um Gewichtsreduktion. Wie, so fragt sie sich, während die Stimmen in ihrem Kopf schreien und toben, passen eine tote Tochter und ein Exliebhaber in das Konzept von Stressabbau?
Irgendwie ist Caroline auf einmal in der Küche, und obwohl sie es besser weiß, macht sie den Kühlschrank auf und greift nach einer halb leeren Flasche Riesling, die zwischen den Resten liegt. Das kalte Kondensat an der Flasche kühlt ihr die Finger. Sie zieht den Korken heraus und setzt die Flasche an, säuft wie einer von diesen aufgedunsenen, mutierten Fetal-Alkoholikern, die in Kapstadt die Bürgersteige entlangschlurfen. Der Wein ist sauer, und sie lässt die Flasche fallen,die auf den Keramikfliesen zersplittert. Caroline hastet zur Spüle, ihre Sandalen knirschen über Scherben, und spuckt die essigartige Flüssigkeit aus.
Sie geht ins Wohnzimmer, sie hat die Verandatür offen gelassen, und das Sonnenlicht schlägt ihr grell entgegen. Sie muss sich abwenden und fliehen, kickt die Sandalen von den Füßen, läuft immer zwei Stufen auf einmal nehmend die mit Teppichboden ausgelegte Treppe hinauf, bis sie in der dämmrigen Kühle des oberen Stockwerks ist.
Sie geht an Sunnys Zimmer vorbei, die Tür ist nur angelehnt (Nick hat sie auf seiner morgendlichen Pilgerreise des Schmerzes offen stehen lassen), und die Stimmen beschwören ihre Tochter herauf, äffen ihr Lachen nach und ihre Stimme, die ziemlich falsch ein Kinderlied singt: »Alle meine Entchen …« Caroline knallt die Tür zu, rennt ins Schlafzimmer.
Sie grapscht nach ihrem Nokia-Handy auf dem Nachttisch, wählt die Nummer ihres Mannes und bekommt seine Mailbox, die in dieser bizarren mittelatlantischen Mischung besprochen ist, die er Akzent nennt. Die einzige Nachricht, die sie ihm in diesem Moment hinterlassen könnte, wäre ein Schrei des Entsetzens, also legt sie auf und wirft das Telefon aufs Bett.
Caroline geht durch das Zimmer ins Bad – ein Marmormausoleum mit einem erschreckend großen Spiegel – und starrt ihr Spiegelbild an. Entsetzt von dem, was ihr da entgegenstiert, dreht sie sich ruckartig weg, das Licht im Bad träge wie ein schlechtes Video, die Moleküle in der Luft so dick und schwer
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