Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
karierten Rock. Er schätzte sie auf knapp sechzig, wenngleich ihre altmodische Aufmachung sie älter wirken ließ.
»Guten Morgen«, erwiderte sie, als sie ihn erreicht hatte. »Sie sind der Betreuer von 47, stimmt’s? Ich hab Sie gestern Abend gesehen, jetzt aber nicht gleich erkannt. Hab schon das Schlimmste befürchtet, Sie müssen entschuldigen.«
»Döberlin«, sagte Stiller. »Ich bin es, der sich entschuldigen muss, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich brauche nur ein paar Tipps, und es ist sonst niemand hier, Frau …«
»Ich bin die Gerti. Gertraud Blum.« Sie streckte den Arm über den Zaun und gab Stiller einen kräftigen Händedruck. »Man muss ja vorsichtig sein nach dem, was passiert ist, wissen Sie … Sonst kann mich keiner so leicht erschrecken. Ich bin fast jeden Morgen alleine hier.«
»Oh.« Stiller schlug einen verständnisvollen Ton an. »Am Ende auch gestern?«
Sie nickte. »Ich habe ihn gefunden«, sagte sie leise. »Es war fürchterlich.«
»Das glaub ich Ihnen!« Stiller spürte: Sie wollte gerne davon erzählen. Seine Hoffnung wuchs, ein wenig über Strunke zu erfahren.
»Ich war richtig geschockt. Der Arzt wollte mich sogar krankschreiben. Aber ich war dagegen. Es wird nur schlimmer, wenn ich keine Ablenkung hab, wissen Sie?«
»Erlebt habe ich das nie. Aber ich kann es mir vorstellen.«
»Ich muss sonst dauernd drüber nachgrübeln.« Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Aber ich will Sie nicht damit belasten. Sie sind neu hier. Sie müssen ja einen schönen Eindruck von unserer Kolonie haben.«
Der Garten lag am Rand der Anlage, nur der Zaun und eine dichte Hecke dahinter trennten ihn von der Hafenbahn. Eine Diesellok rumpelte laut über das Gleis. Während er wartete, bis sie sich in Richtung Hafen entfernt hatte, überlegte Stiller, wie er das Gespräch in Gang halten könnte.
»Ist das hier immer so laut?«, fragte er und deutete der Lok hinterher.
»Nur wenn ein Zug kommt.« Ein Lächeln verwandelte die kleinen Falten um ihre Augenwinkel in tiefe Furchen. Sie schien gerne zu lachen. »Man gewöhnt sich dran. Beschweren ist übrigens zwecklos: Das Gelände gehört der Bahn, und früher musste man sogar Eisenbahner sein, um hier einen Garten zu kriegen. Die meisten sind also vom Fach.«
»Da hab ich offensichtlich Glück gehabt«, sagte Stiller. »Ich bin kein Eisenbahner.«
»Da hätte ich drauf geschworen.« Sie streckte sich über den Zaun und legte ihre Fingerspitzen an Stillers Stirn. »Ihre Schwingungen verraten mir: Sie sind Psychologe.«
Stiller zuckte zurück.
Sie lachte. »Keine Sorge, ich bin keine Hellseherin. Ich gehöre zum Vorstand der Kleingartenanlage. Dorn hat gestern Abend noch eine Mail rumgeschickt, wer Sie sind. Damit sich niemand wundert, wenn Sie hier auftauchen.« Ihre Augen weiteten sich. »Hoffentlich sind Sie keiner von diesen Datenschutzfanatikern. Das läuft alles ganz ordentlich. Wird abgeheftet, das war’s. Die Unterlagen bleiben im Vereinsheim. Da guckt keiner mehr rein.«
Stiller speicherte die Information. »Ich bin beruhigt.« Er trat wieder einen Schritt näher. »Obwohl ein wenig Hellseherei im Augenblick nicht schaden könnte.«
»Wie meinen Sie das? Ach, wegen Strunke!« Wie zu Beginn des Gesprächs senkte sie die Stimme. »Ja, das ist wahr. Furchtbar zu wissen, dass sein Mörder frei herumläuft. Ich mache mir solche Vorwürfe.«
»Wieso machen Sie sich denn Vorwürfe?« Stiller betrachtete sie erstaunt.
»Ich war gestern später dran als sonst. Wenn ich früher gekommen wäre, hätte ich ihm vielleicht noch helfen können.«
»Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Strunke hat nach dem Schlag nicht mehr lange gelebt, soweit ich weiß.«
Sie nickte. »Aber vielleicht wäre der Mord gar nicht erst passiert. Was wäre, wenn ich den Mörder gestört hätte?«
»Meinen Sie, dass Sie den Anschlag so knapp verpasst haben?«
Sie zuckte die Schultern. »Auszuschließen ist das nicht, oder? Gerade deshalb mache ich mir ja Vorwürfe. Warum war ich nur ausgerechnet gestern später dran? Wenn ich wie immer gekommen wäre, und Strunke wär schon tot gewesen, dann hätt ich’s auch nicht ändern können. Aber so … ach herrje!«
»Haben Sie denn jemanden bemerkt? Sind Ihnen Leute begegnet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Aber theoretisch könnte sich jemand versteckt haben, als ich kam. Hier gibt es tausend Möglichkeiten.«
»Na, ich weiß nicht.« Stiller gab sich entschlossen, sie zu beruhigen. »Dann hätten
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