Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
»Heute Nacht? Meinetwegen, aber seid vorsichtig. Und Giuliano: Ruf mich erst wieder an, wenn du etwas Neues hast. Etwas wirklich Neues.« Er schloss die Augen, die Trägheit kehrte zurück. Ein angenehmes Gefühl der Schwere und Leichtigkeit zugleich. »Ja, ciao, ciao.«
Mit geschlossenen Augen streckte er den Arm aus und stellte das Telefon so auf dem Schreibtisch ab, dass er das Display sehen würde, wenn er den Kopf zur Seite legte. Keine Minute später schlummerte er bereits.
***
Strobel unterdrückte ein Gähnen – und erschrak. Er hatte die Müdigkeit nach dem Mittagessen stets für eine Alterserscheinung gehalten. Etwas für Männer über vierzig oder, nachdem er sich dieser Zahl allmählich näherte und die Grenze für Alterserscheinungen parallel dazu nach oben verschoben hatte, ab fünfundvierzig. Dieser Stiller zum Beispiel lag jetzt bestimmt in seinem Garten und döste.
Strobel dagegen war die Müdigkeit nach Mittag unbekannt. Schon als Kind hatte er es gehasst, sich nach dem Essen hinlegen zu müssen. Mit der Schule endete die Zeit der Mittagsschläfchen, und er hatte sie nie wieder aufleben lassen. Der Polizeidienst hielt ihn wach. Ungelöste Fälle versetzten ihn in eine innere Spannung, auch wenn er nach außen gelassen erschien. Eine Spannung, die ihn nicht ruhen ließ, bis er die Lösung vor sich sah – und den mutmaßlichen Täter.
So weit war er im Fall des ermordeten Josef Strunke noch lange nicht. Und genau das hatte er soeben dem Leitenden Oberstaatsanwalt Rudolf Possmann gestanden. »Wir haben einige Spuren. Aber keine ist heiß.«
Possmann hatte ihn ins Mandora eingeladen, einen Obstgroßhandel mit angeschlossenem Restaurant im Nilkheimer Gewerbegebiet und damit unweit der Polizeidienststelle. Eigentlich hatte sich Sabine mit ihm in der Wohlfühlerei in der Altstadt treffen wollen. Doch irgendwann musste er schließlich mit Possmann reden, und so hatte es Strobel vorgezogen, das Nützliche mit einem halbwegs angenehmen Ambiente zu verbinden. Sie hatten sich an einen der einfachen Holztische auf der Terrasse gesetzt, um den ersten warmen Tag des Monats auszukosten. Die Eisheiligen waren vorüber, endlich schien sich der Frühling durchzusetzen.
Possmann gähnte unverhohlen. In seinem Alter durfte er sich das erlauben, dachte Strobel. Possmann stand kurz vor der Pension, die Falten in seinem Gesicht ließen sich unter der Sonnenbankbräune nicht mehr verbergen, und das weiße Haar, das er sich in einer schwungvollen Welle nach hinten geföhnt hatte, lichtete sich.
»Kann es sein, dass Sie sich zu frühzeitig auf die Witwe und ihren Liebhaber eingeschossen haben?« Possmann deutete mit der Gabel auf Strobel. Auf der Gabel steckte noch ein letzter Kartoffelschnitz, den er anschließend im Mund verschwinden ließ.
Strobel mochte solche Fragen nicht. »Ich schieße mich niemals frühzeitig ein. Mein Team hat alle Spuren im Auge und sucht unablässig nach neuen.«
Der Mord lag keine zwei Tage zurück. Die Soko hatte längst nicht alle Akten aus Strunkes Besitz ausgewertet. Er hatte sie in Umzugskisten verstaut und im Keller seines Hauses in Damm untergestellt. Wer wusste schon, was sich da noch finden würde? Die Befragungen der Gärtner und der Nachbarn liefen, auch sie konnten noch einiges zutage fördern. Obendrein suchte ein Team nach Entlastungszeugen für das Paar, das zugegebenermaßen weit oben auf Strobels Liste stand.
»Es ist eine Binsenweisheit.« Strobel sprach mehr zu sich selbst. »In den meisten Mordfällen stammt der Täter aus dem familiären Umfeld des Opfers.« Dieses Umfeld war bei Strunke sehr überschaubar: Außer seiner Frau gab es keines. Das Paar war kinderlos, Strunkes Eltern längst tot. Sein einziger Bruder war ebenfalls schon vor Jahren ums Leben gekommen – bei einem Unfall. Auch er hatte keine Nachkommen. Es sah so aus, als wäre diese Strunke-Linie am Morgen des Vortags erloschen. Das Ende einer insgesamt eher traurigen Familiengeschichte.
Possmann legte geziert sein Besteck auf den Teller – Position sechzehn Uhr. »Leider zählen bei einem Mordfall nicht Binsenweisheiten, sondern Motive und Beweise.«
Strobel war sich nicht sicher, ob ihn Possmann absichtlich provozieren wollte. »Das ist mir klar«, sagte er schroff. »Aber gerade Motive sehe ich im Moment nur bei der Witwe und ihrem Liebhaber, wie Sie ihn nennen.« Er war es selbst im Geiste immer wieder durchgegangen, jetzt wiederholte er es für Possmann. »Sie ist die einzige Erbin. Sicher
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