Stiller Zorn: Roman (German Edition)
gefunden.
»Herrgott«, sagte Don.
Polanski und Verrick schauten einander kopfschüttelnd an.
»Hat er mit dem Mädchen zusammengelebt?«, sagte Don.
Ich nickte.
»Woher hast du das gewusst?«
»Jemand hat’s mir gesagt«, sagte ich.
»Wer hat’s dir gesagt?«
»Hab ich vergessen.«
»Hat er sie unter Drogen gesetzt?«
Ich zuckte die Achseln.
Don schaute wieder auf die leere Leinwand.
»Das ist vielleicht eine beschissene Welt. Und wir können bestenfalls die Scheiße eine Zeitlang von der einen in die andere Ecke schaufeln.«
»Brauchst du mich noch, Don?«
»Nein. Du kannst gehen, Lew. Sei vorsichtig.«
Ich ging die vier Treppen runter und raus auf die Straße. Ein alter Mann in Lumpen hockte mit dem Rücken zur Hauswand auf dem Gehsteig. »Sperren Sie mich ein, Officer«, sagte er zu mir.
Es war kurz nach neun und vermutlich seit etwa einer halben Stunde dunkel. Eine flimmernde Glocke aus Hitze und Licht hing über der Stadt. Beim Atmen hatte man das Gefühl, als ob man an einem nassen Turnschuh lutschte.
Ich holte meine Karre auf dem Polizeiparkplatz ab, wo Don sie abgestellt hatte, und fuhr auf der Poydras Street raus zum Hotel Dieu.
Im Schwesternzimmer auf der Intensivstation erklärte ich, wer ich war, worauf man mir mitteilte, dass einer der Ärzte in Kürze mit mir sprechen würde und ich bitte draußen im Familienaufenthaltsraum warten sollte. In diesem Zimmer waren die Angst, der Schmerz und die blinde Hoffnung geradezu körperlich spürbar. Nach einiger Zeit kam ein hochaufgeschossener, vornübergebeugt gehender junger Mann an die Tür und sagte leise: »Mister Griffith?«
»Griffin«, sagte ich.
»Wegen Cordelia Clayson?«
»Ja, Sir.«
»Kommen Sie bitte mit.«
Wir gingen wieder auf die Intensivstation, zu einem kleinen Zimmer am anderen Ende. Er zog die Tür zu. Ich hörte, wie draußen Alarm ausgelöst wurde, eine Stimme ertönte: Ich brauche hier drüben Hilfe.
»Und in welcher Beziehung stehen Sie zu der Patientin, Mister Griffin?«
»Wie ich der Schwester schon sagte, bin ich Privatdetektiv, von den Eltern des Mädchens engagiert.«
»Um herauszufinden, weshalb sie zu uns gekommen ist?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich sollte sie finden. Mein Auftrag ist erledigt, abgesehen davon, dass ich noch hingehen und es ihnen sagen muss. Und ich muss wissen, was ich ihnen sagen soll.«
»Aha. Dann haben Sie also Kontakt mit den Eltern.«
»Ich weiß, wo ich sie erreichen kann.«
Er hatte traurige braune Augen. Fragte sich bloß, ob die so blieben, oder ob er durch das hier im Lauf der Jahre (er war allenfalls sechs-oder siebenundzwanzig) abgehärtet werden würde.
»Allzu große Hoffnung kann ich Ihnen nicht machen«, sagte er. »Was natürlich nicht an den Drogen an sich liegt – damit wissen wir mittlerweile umzugehen. Aber Cordelia hat sich einen harten Hit gesetzt, ungewöhnlich reines Heroin. Sie war lange außer Bewusstsein, und infolgedessen ist es zu einer sogenannten Schocklunge gekommen. Das Herz schlägt deutlich langsamer und kontrahiert nicht mehr richtig, so dass der ganze Kreislauf zusammenbricht. Ihre Lunge ist voller Flüssigkeit. Sie bekommt kaum Luft – jeder Atemzug fällt schwer, so als würde man zum ersten Mal in einen Luftballon blasen –, und der Sauerstoffgehalt im Blut wird allmählich kritisch. Wir tun, was wir können. Sie wird künstlich beatmet, mit reinem Sauerstoff, unter hohem Druck. Aber bislang richten wir nicht viel aus. Und offen gesagt, Mister Griffin – die Notmaßnahmen, die wir ergreifen mussten, führen eher zu weiteren Komplikationen, als dass sich damit das eigentliche Problem lösen ließe. Nach einer Weile geraten wir dadurch in einen Teufelskreis. Tut mir leid.«
Ich stand auf. »Besten Dank, Doktor. Dürfen Mister und Mistres Clayson ihre Tochter sehen, wenn ich sie herbringe? Gibt es bestimmte Besuchszeiten?«
»In diesem Fall nicht, Mister Griffin. Ich hinterlasse am Empfang die entsprechenden Anweisungen.«
Ich ging durch die Doppeltür zum Fahrstuhl. Sämtliche Gesichter im Familienaufenthaltsraum wandten sich mir zu.
11
Aus der leichten Brise war ein steter, lauer Wind geworden, und Regen lag in der Luft. Ich fuhr langsam die Melpomene entlang und dachte über Eltern und Kinder nach, über die vielen Familien, bei denen zu Hause offener Krieg herrschte, all die Liebe, die im Lauf der Jahre unter der Last der Worte, Widerworte und Enttäuschungen zerbricht, und darüber, dass wir, wenn wir älter werden, immer
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