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Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Titel: Stiller Zorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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mir einen eher symbolischen Lohn, bald darauf bekam ich einen prozentuellen Anteil, dann wurde auch mein Gehalt verdoppelt.
    Vicky und ich sahen einander ziemlich regelmäßig – Konzerte, gemeinsame Abendessen, Filme im Prytania, Theater, Museen, lange Nachmittage bei Espresso oder ein paar Flaschen Wein. Ich musste an den alten philosophischen Begriff von den Monaden denken – ganze Wissensgebiete, Erkenntnisbereiche, die sich dem Menschen im Laufe seiner Entwicklung erschließen. Und ich spürte, wie sich mir neue Worte erschlossen, Worte, die, wie ich wusste, schon immer da gewesen waren, die ich aber nicht hatte finden können, an die ich nicht rangekommen war.
    Mir kam diese ganze Zeit vor wie eine Art Traum – so ähnlich wie in den ersten Wochen im Krankenhaus, aber aus ganz anderen Gründen. Den ganzen Tag über spürte ich Leute auf, machte um sechs rum Feierabend und fuhr zu Vicky, und dann gingen wir entweder irgendwo aus, oder wir blieben zu Hause, redeten und hörten Musik, bis sie ihrerseits zum Dienst musste. Ich hatte flexible Arbeitszeit, und wenn sie frei hatte, arbeitete ich manchmal nachts, damit ich tagsüber bei ihr sein konnte.
    Arbeit, eine Frau, die auf einen wartet, Geld auf der Bank, persönliche Reife – amerikanische Träume.
    Aber ich wohnte weiterhin in dem Behüteten Haus. Carlos knurrte mir inzwischen ein widerwilliges Buenos dias zu. Jimmi, der nur ein paarmal zur gleichen Zeit da war wie ich, wollte nicht reden. Vicky bat mich, zu ihr zu ziehen. Sansom kam jeden Freitag vorbei und überzeugte sich, dass alles in Ordnung war.
    Die Zeit verging wie eh und je.
    Sowohl Verne als auch Walsh riefen an und wollten wissen, wie es lief. Ça va bien , sagte ich ihnen.
    Der Präsident fing wieder einmal einen heimlichen Krieg an.
    Denkmäler zu Ehren derer, die im letzten heimlichen Krieg gefallen waren, wurden errichtet.
    Die CIA stürzte die Regierung eines kleinen südamerikanischen Staates und führte dicke Akten über viele Bürger im eigenen Land.
    In Südafrika alles wie gehabt.
    Die Russen knurrten uns an, und wir knurrten zurück – auch da nichts Neues.
    Unten bei der Mississippi River Bridge, wo die Bauarbeiten für die 84er Weltausstellung im Gange waren, wimmelte es wie auf einem Ameisenhaufen.
    Ich zog bei Vicky ein.
    Es war ein ziemlich schicker Apartmentkomplex, und sie hatte sich in ihrem kleinen Bereich ein typisch britisches Ambiente geschaffen – an den Wandleisten Bilder aufgehängt, zwei Lehnsessel neben ein niedriges Teetischchen gestellt und die Wohnung ansonsten mit schwerem altem Mobiliar ausgestattet. Als sie eingezogen war, sagte sie, hätten hier überall die üblichen pflegeleichten Möbel aus Pressspan und Kunststoff gestanden; sie war sich vorgekommen wie in einem Motel. Überall waren Bücher.
    Eines Abends, als wir ein paar Wochen zusammen waren und beschlossen hatten, an diesem Tag zu Hause zu bleiben – auf dem Herd köchelte ein Topf roter Bohnen, und ich wollte gerade mit dem Reis anfangen –, klopfte es an der Tür. Es war Jimmi Smith.
    »Bill Sansom sagt, dass Sie Leute finden können«, sagte er ohne lange Vorrede.
    »Ihre Schwester?«
    Er nickte.
    »Kommen Sie bitte rein«, sagte ich und stellte Vicky vor.
    »Ich habe ein ungutes Gefühl«, sagte er. »Irgendwas ist da passiert. Ich kann nicht mehr so weitermachen, als wäre nichts geschehen.«
    »Sie bleiben doch zum Essen, Mister Smith – bitte«, sagte Vicky.
    Er schüttelte den Kopf, aber kurz darauf ließ er sich zu Tisch führen. Er erzählte davon, wie sie früher auf der Schaukel im Hof gesessen und sich gegenseitig mit Weintraubenkernen bespuckt hatten, dass sie immer die gleichen Latzhosen getragen, alles gemeinsam unternommen hatten. Ich goss Wein ein, und Vicky brachte ein frisch gebackenes Baguette. Während des Essens und bei einer zweiten Flasche Wein klärte er mich über seine Schwester auf, Cherie hieß sie. Gab mir ihre letzte Adresse und ein kleines Foto, eine alte Schulaufnahme, das einzige, das er hätte, sagte er, weil sie sich nicht gern fotografieren ließ.
    »Ich höre mich um und seh zu, was dabei rauskommt«, sagte ich zu ihm. »Ich melde mich wieder. Wohnen Sie noch in dem Haus?«
    »Gleiches Bett, gleiches Buch.«
    Ich brachte ihn raus und stellte das Geschirr zusammen. Vicky hatte das Foto in der Hand.
    »Sie sieht so jung aus.«
    »Wenn man in unserem Alter ist, sieht jeder jung aus. Die Cops kommen mir heutzutage wie Kids vor.«
    »Außerdem sieht sie so aus,

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