Stiller Zorn: Roman (German Edition)
Canal Street ab.
Viel lag nicht vor, und das, was vorlag, war läppisch. Ich hielt mich ein paar Stunden ran, verfolgte etliche Spuren unten in Downtown und nahm so viel ein, dass ich Feierabend machte (besser gesagt, einen blauen Nachmittag feierte). Dann fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, die zwanzig Dollar abzuliefern, die ich Kirk Woodland versprochen hatte, und fuhr raus nach Metairie.
Ein Streifenwagen stand vor Bakers Haus, und ein Cop öffnete die Tür, als ich anklopfte.
»Was wollen Sie?«, sagte der Cop. Er hatte sich unlängst einen Schnurrbart wachsen lassen, damit er älter wirkte. Es nützte nichts.
»Mister Griffin. Woher haben Sie das gewusst?«, rief Baker quer durchs Zimmer.
»Kennen Sie den Mann?«, sagte der Schnurrbärtige.
»Ein Freund«, sagte Baker und fragte mich noch mal, woher ich Bescheid gewusst hätte. Der Schnurrbärtige trat zurück und ließ mich rein.
»Hab ich nicht«, sagte ich. »Noch nicht. Ich bin zufällig vorbeigekommen und habe den Streifenwagen gesehen.«
»Denny ist verschwunden, Mister Griffin. So was ist noch nie vorgekommen. Ich bin kurz um die Ecke gegangen, um Milch zu holen, und als ich zurückgekommen bin, war er weg. Er hat nie das Haus verlassen, wenn ich nicht da war.«
»Vermutlich ist er nicht weit weg, Mister Baker. Der taucht bald wieder auf. Meine Nummer haben Sie ja. Rufen Sie an, wenn ich irgendwas tun kann.«
»Ich hoffe, Sie haben recht, Mister Griffin. Und vielen Dank.«
Aus reiner Gewohnheit kurvte ich ein bisschen in der Gegend rum. Allem Anschein nach hauptsächlich ältere Leute, nicht viele Kinder beziehungsweise kaum eine Spur von Kindern – Schaukeln, Fahrräder und dergleichen.
An der einen Ecke war eine alte Tankstelle, so ähnlich wie die, an denen wir als Kids rumhingen, uns eine kostbare Flasche Nehi oder Pepsi teilten, und ich fuhr vor und tankte Sprit. Ging in das zugemüllte, grottenartige Büro und stand erst mal halbblind im Dämmerlicht. Ein verblüffend junger Mann saß schwitzend zwischen zwei Zimmerventilatoren. Ich bezahlte, schaute auf die scharfen Kalender rundum und fragte, ob er in den letzten ein, zwei Stunden einen Jungen gesehen hätte, einen großen Jungen.
Erschrocken schaute er mich an.
»Ich hab seit Jahren kein Kind mehr angerührt. Nicht, dass es mich nicht gelüstet, aber ich hab dazugelernt. Ich fahr nicht mehr für nichts und wieder nichts ein. Ihr müsst doch wissen, dass ich sauber bin.«
»Hey, nur die Ruhe.«
Er musterte mich, kniff die Augen zusammen. »Sind Sie nicht von der Polizei?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie sehn aber so aus!«, sagte er.
»Der Sohn von einem Freund, der ein paar Straßen weiter wohnt, ist abgehauen. Die Cops sind schon dort. Ich dachte, ich tu vielleicht ein bisschen was dazu, schau mich wenigstens mal um.«
»Handelt es sich etwa um den großen, zurückgebliebenen Jungen?«
Ich nickte.
»Wenn die Cops derzeit da oben sind, sind sie demnächst hier unten.«
»Wenn Sie sauber sind, wird man Sie auch nicht behelligen.«
»Entweder ich hör nicht recht, oder Sie haben keinen blassen Schimmer.«
»Richtig«, sagte ich einen Moment später. »Ich glaube, so ähnlich hat sich Jack Webb mal ausgedrückt. Dämlich. Aber trotzdem viel Glück.«
»Danke. Ihnen auch – bei der Suche nach dem Jungen, mein ich.«
Er stellte die Ventilatoren ab und zählte das Geld in der Kasse.
Ich kurvte noch ein paarmal quer durch das Viertel, steuerte wieder in Richtung New Orleans, als mir einfiel, dass ich wieder vergessen hatte, den Zwanziger bei Kirkland abzuliefern, und kehrte um.
Ich wollte gerade zu Woodlands Wohnung gehen, als ich aus dem Apartment, in dem einst Cherie gewohnt hatte, etwas hörte beziehungsweise etwas zu hören meinte. Ich probierte die Tür, und sie ging auf. Denny hockte im Schneidersitz mitten auf dem Boden.
Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wie er dort hingefunden beziehungsweise die Tür aufgekriegt hat. Aber ich brachte ihn nach Hause, zu seinem Vater, der darauf bestand, dass wir zusammen einen trinken müssten (billigen Bourbon, den er vermutlich unter der Spüle stehen hatte und einmal im Jahr für Eiercremecocktail benutzte), und sich tausendmal bei mir bedankte. Ich ging noch mal zu den Garagenwohnungen – ich hatte den Zwanziger schon wieder vergessen –, kehrte dann zu meinem Auto zurück und fuhr auf den I-10, wo ich einmal mehr Bekanntschaft mit dem Feierabendverkehr machte, eins der besten Argumente gegen geregelte Arbeit.
Ich
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