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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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blauen Uniform und wedelte mit einem Umschlag.
    "Ein Telegramm!", strahlte sie ihn an, ganz in der Gewissheit, dass sie eine gute Nachricht überbrachte. Bestimmt war er Vater geworden, vermutete sie, schließlich kannte ja das ganze Dorf die Geschichte der jungen Hausbesitzer. Sie wunderte sich ein bisschen über sein verschlafenes Aussehen. Hatte sie ihn etwa jetzt erst geweckt? Von seinen Sorgen um Anne und seinem Schreck, dass er nun auch noch verschlafen hatte und zu spät zur Arbeit kommen würde, konnte sie ja nichts wissen.
    "Danke", sagte Sven kurz und nahm ihr schnell den Umschlag aus der Hand. Dann ließ er sie einfach stehen und knallte ihr die Tür vor der Nase zu.
    Die Postfrau verstand die Welt nicht mehr. Das ist doch die Höhe, dachte sie, früher hatte es bei der Nachricht von einem Stammhalter zumindest ein Likörchen gegeben. Und außerdem hatten die Leute sie, die Postfrau, immer an den Familienereignissen Anteil nehmen lassen. Aber dieser junge Mann war ja neu hier im Dorf. Was wussten solche Zugereisten schon von den Gepflogenheiten der Einheimischen?
    So in ihre Gedanken vertieft, trollte sie sich kopfschüttelnd vom Hof.
     
    Noch im Flur hatte Sven den Umschlag aufgerissen, sich in der Küche auf einen Stuhl fallen lassen. Wieder und wieder las er die Nachricht, weil die Buchstaben vor seinen Augen verschwammen: "Tochter geboren, musste sofort in die Charité. Frau den Umständen entsprechend wohlauf. Dr. Kersten"
    Ein Mädchen, hm, na gut. Dass er immer noch gehofft hatte, die Ärzte hätten sich geirrt, und es sei doch ein Junge, wollte er sich nicht eingestehen. Anne ging es gut? Das war die Hauptsache. Die Benommenheit in seinem Kopf begann langsam zu weichen. Er legte das Telegramm beiseite und duschte ausgiebig in der neuen transportablen Kabine. Er fühlte die heißen Wasserstrahlen wie Nadeln auf seiner Haut, seifte sich ein und dehnte die Zeremonie seiner Reinigung über Gebühr aus.
    Zu spät ist zu spät, dachte er achselzuckend, da kam es auf eine Stunde mehr oder weniger auch nicht mehr an.
    Deshalb genehmigte er sich auch gleich noch ein ausgiebiges Frühstück mit Schinken, Käse, Rührei, Brot und einem riesigen Topf Kaffee. Schließlich war inzwischen die Mittagszeit fast überschritten.
    Nach seinem üppigen Mahl machte er sich auf den Weg zur Telefonzelle. Er ging diesmal zu Fuß, es war ja nicht weit, so konnte er noch etwas die frische Luft genießen. Er schien es nicht eilig zu haben. Er war auch kein bisschen aufgeregt, als er fragte, ob er seine Frau besuchen könne.
    "Ja, ausnahmsweise", sagte die Ärztin, aber ihre Stimme klang nicht besorgniserregend. Sven ließ sich also Zeit, kaufte unterwegs noch rote Rosen, bevor er auf den Hof des Krankenhauses rollte.
    Doch als er auf der Station für Wöchnerinnen ankam, war seine Frau schon nicht mehr da.
    "Sie musste sofort operiert werden", teilte ihm die junge Ärztin bedauernd mit. Das sei hier nicht möglich gewesen, deshalb hätten sie seine Frau in ein größeres Krankenhaus gebracht.
    Sven verstand nicht gleich. Operation? Aber wieso denn, sie hatte es doch immer wieder abgelehnt, unters Messer zu kommen. Doch dann wurde ihm klar, dass es den Grund für die Ablehnung, ihre Schwangerschaft, nicht mehr gab. Natürlich, das Kind war ja nun geboren! Ein Mädchen. Er musste sich zusammennehmen, denn er merkte, wie der Boden unter seinen Füßen zu schwanken begann.
    "Ist Ihnen nicht gut, Herr Stiller?"
    "Doch. Doch, geht schon wieder!"
    Sven wollte sich keine Blöße geben. Mit weichen Knien verabschiedete er sich von der Ärztin, doch nach ein paar Sekunden war er schon wieder zurück. Frau Dr. Kersten blickte auf, als er ungestüm die Tür aufriss.
    "Sagen Sie, wie heißt denn eigentlich meine Tochter?"
    Doch gleich darauf schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und fragte: "Sie heißt Laura, nicht wahr?" Natürlich, Anne hatte es ihm doch bestimmt schon mehrmals gesagt, aber er hatte sich wohl zu sehr auf einen Jungen versteift. Ein Glück, dass ihm der Name seiner Tochter noch eingefallen war, da stand er nicht ganz so dumm da.
    Dr. Kersten schaute ihn mitfühlend an. War wohl doch alles ein bisschen viel für den jungen Mann: Erst die kranke Frau, dann auch noch das kranke Mädchen. Oh, mein Gott, das hatte sie ihm ja noch gar nicht gesagt! Das holte sie nun mit knappen Worten nach.
    "Ja, aber, was hat denn die Kleine eigentlich?“ entfuhr es Sven. Er war so sehr mit der Sorge um Anne beschäftigt

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