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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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gewesen, dass für das zu erwartende Kind wenig Raum in seinen Gedanken geblieben war.
    „ Sie ist ein wenig zu leicht und hat auch Probleme mit der Atmung. Genaueres erfahren Sie dann in Berlin. Sie muss ja sowieso erst einmal eine Weile dort bleiben."
    Sven nickte, als verstünde sich das von selbst, aber in Wirklichkeit wusste er mit der Information nicht viel anzufangen. Stumm wandte er sich zum Gehen. An der Tür drehte er sich noch einmal um und fragte hilflos: "Wo soll ich denn nun zuerst hin - nach Kottberg zu meiner Frau oder nach Berlin zu meiner Tochter?"
    Aber eigentlich hatte Sven die Frage mehr an sich selbst gerichtet, er verließ deshalb das Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten.
    „ Wie ein alter Mann“, wunderte sich die Ärztin, als sich seine vorhin noch ungestümen Schritte nur schleppend entfernten.
    Sven fühlte sich im Moment tatsächlich ziemlich greisenhaft. Alle Frische vom Vormittag, als er das Telegramm erhalten hatte, war von ihm abgefallen. Müde setzte er sich ins Auto und überlegte, was er jetzt tun sollte. Da kam ihm die Idee: Ich fahre zu meinen Eltern. Sie werden bestimmt zu Hause sein, denn Vater ist ja nun auch schon im Ruhestand.
    "Sie haben mir ja damals auch geholfen, Anne wiederzufinden", dachte Sven wieder einmal laut vor sich hin.
    Doch gleich darauf meldeten sich die Zweifel. Er schämte sich, dass er sich fragte, ob dieses Wiederfinden, diese Hochzeit mit einer Todkranken und nun auch noch die Geburt einer Tochter überhaupt so gut waren, wie er anfangs geglaubt hatte.
    Doch er konnte nichts tun gegen seine innere Zerrissenheit, legte den Gang ein, kuppelte, gab Gas, rollte die Anhöhe hinauf und blinkte rechts.
    Unterwegs hielt er an dem selben Blumengeschäft wie vorhin an, kaufte einen Strauß Nelken für seine Mutter. Ihr die für Anne bestimmten roten Rosen zu überreichen, erschien ihm dann doch etwas unpassend.
     

Ein glücklicher Vater sieht anders aus …
     
    Dreimal musste Sven in der Kastanienallee auf den Klingelknopf drücken, ehe er Margots etwas müde Stimme aus dem Lautsprecher vernahm.
    "Ja, bitte?"
    "Ich bin´s, Sven. Hast du geschlafen, Mutter?"
    "Was? Junge! Na, das ist ja eine Überraschung!"
    Margot Stiller war auf einen Schlag munter. Mit dem Besuch ihres Sohnes hatte sie zu dieser Stunde nicht gerechnet. "Ja, ja", rief sie aufgeregt, "wir haben geschlafen, aber jetzt bin ich total frisch und . . ."
    Alle weiteren Worte wurden vom surrenden Ton des Türöffners verschluckt.
    Mit einem flauen Gefühl im Magen erklomm Sven Stufe für Stufe im Treppenhaus.
    Oben lief Margot unterdessen zurück ins Wohnzimmer, wo Helmut mit leisen Schnarchtönen seine Mittagsruhe untermalte.
    "Helmut, Helmut, der Junge ist da!" rief sie gleich von der Tür aus. Auch der Anblick ihres friedlich schlummernden Mannes konnte ihre eigene Müdigkeit nicht wieder heraufbeschwören. Sie war jetzt hellwach!
    Doch bei Helmut dauerte es etwas länger, ehe er zu sich kam.
    "Hä?" fragte er und blinzelte seine Frau aus verschlafenen Augen an. "Was für ein Junge?"
    Seine Benommenheit ließ ihn wohl nicht gleich darauf kommen, dass es sich bei dem "Jungen" um seinen Sohn Sven handeln könnte. Seit jenem für Vater Stiller so denkwürdigen Hochzeitsessen hatte er ja seinen einzigen Sohn auch kaum noch zu Gesicht bekommen. Wenn sie sich nicht zufällig manchmal in der Stadt getroffen und ein paar Worte gewechselt hätten, wüsste Sven ja noch nicht einmal, dass sein Vater in den Ruhestand versetzt worden war.
    „ Sven?“ fragte er ungläubig, „tatsächlich unser Sohn?“
    Dabei setzte er sich auf, ordnete sein schütteres Haar mit beiden Händen und lauschte zur Tür.
    Auf eine Antwort wartete er vergebens.
    Seine Frau war längst wieder zur Korridortür geeilt, um ihren Sohn gebührend zu empfangen.
    Sven war ein wenig außer Atem, als er oben ankam. Erstaunt sah er, dass die Tür für ihn schon sperrangelweit offen stand. Seine Mutter füllte fast den gesamten Türrahmen aus und strahlte übers ganze Gesicht.
    Doch das war mit einem Schlag vorbei, als ihr Blick forschend auf ihrem Sohn ruhte. Seine Züge schienen in der kurzen Zeit gealtert zu sein, tiefe Falten furchten Stirn und Wangen. Sie ließen ihn zwar auch irgendwie männlicher und reifer wirken, räumte sie ein, aber seine offensichtliche Ratlosigkeit hatten ihre mütterliche Sorge sofort entfacht.
    Daran konnte auch sein scheinbar munteres "Tachschön, Mutter, ich habe dir ein paar Blumen mitgebracht!" nichts

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