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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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Dinge angefangen, aber keines richtig zu Ende gebracht.
    In der Küche hatte er damit begonnen, den alten Putz abzuklopfen. Er hatte auch angefangen, alles in eine alte Kiste zu räumen, aber vieles lag eben auch noch daneben.
    "Ach, das habe ich gestern nicht mehr geschafft", stammelte Sven verlegen, als er bemerkte, wie erschrocken Anne auf die verstreuten Putzbrocken schaute.
    Anne kam ohne ein Wort wieder aus der Küche heraus. Sie wusste genau, dass diese vorerst ganz bestimmt nicht zu ihren Lieblingsräumen zählen würde. Schade nur, dass sie selbst nicht mehr so richtig zufassen konnte, sie hätte schon mit Hilfe von Farbe, hellen Möbeln und bunten Vorhängen für eine freundlichere Atmosphäre gesorgt.
    Nun würde sie eben Sven ihre Wünsche sagen müssen.
    In dem kleinen Wohnzimmer war alles aufgeräumt. Es duftete nach Zitronenöl. Eine Möbelpolitur, deren Duft Anne seit jeher mochte. Auch die gediegenen Holzmöbel gefielen ihr, sie stammten wohl aus dem Nachlass der alten Frau, die hier gewohnt und Sven das Häuschen vererbt hatte.
Es muss ihn sehr viel Mühe gekostet haben, sie abzuschleifen und neu zu wachsen,
dachte sie anerkennend.
    "Hier könnte mein Bauernschrank gut hinpassen", rief sie fröhlich aus, als sie links neben der Tür eine völlig freie Wand entdeckte. Sie wusste nicht, dass dort noch vor ein paar Tagen das Bett der alten Dame gestanden hatte, in dem sie auch gestorben war. Sven hatte es in den Schuppen geräumt.
    Als er mit einer Flasche Sekt und zwei Gläsern zur Tür hereinkam, hatte es sich Anne schon auf dem alten, aber immer noch gut gefederten Sofa gemütlich gemacht. Eine Stehlampe mit einem Lederschirm verbreitete gedämpftes Licht und verlieh dem niedrigen Raum eine behagliche Atmosphäre.
    "Den Schrank bringt morgen ein Kumpel von mir", sagte Sven, der Annes Bemerkung noch im Flur gehört hatte, und setzte sich zu seiner Frau auf das Plüschsofa.
    Er schaute sie an und fand, dass es keine schönere Frau auf der Welt gäbe. Nun waren sie also richtige Eheleute? Er konnte es noch immer kaum fassen.
    Ihre Blicke verschwammen ineinander, als die Sektgläser beim Anstoßen einen leise singenden Ton von sich gaben.
    "Auf uns Drei!"
    Beide sprachen es fast gleichzeitig aus. Und da war plötzlich auch wieder dieses Kribbeln im Bauch, das wohl doch jeder auf seine Weise schmerzlich vermisst hatte.
    "Gehen wir nach oben?"
    Seine Frage kam ihm, kaum dass er sie gestellt hatte, plump und unpassend vor. Er wusste doch ganz genau, dass Anne wegen ihrer Krankheit mit Sex kaum noch etwas im Sinn hatte.
    Doch diesmal reagierte sie keineswegs abweisend.
    Also stiegen sie, Anne die Gläser und Sven die Sektflasche in der Hand, langsam die morsche, quietschende Treppe empor. Ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit ließ alles andere in den Hintergrund treten. Jedenfalls vorerst.
    Überaus vorsichtig halfen sie sich gegenseitig beim Entkleiden. Anne knöpfte ohne Hast sein Hemd auf, strich sacht über seine breite Brust, tastete sich zärtlich weiter. Sie wollte einfach noch keine überbordende Leidenschaft aufkommen lassen, obwohl Sven ja eigentlich nicht so sehr dieser Vorsicht bedurft hätte.
    Sven genoss ihre Berührungen und begriff schnell, dass sie ihn gerade lehrte, was sie sich selbst wünschte. Ohne ein Wort zu sprechen, nahm sie seine Hände, führte sie behutsam, und er spürte, wie sie seine Berührung sie erregte. Nun tat er es ihr gleich, führte ihre Hände und war trotz der ungewohnten Zurückhaltung glücklich wie lange nicht. Für ein paar wunderschöne Augenblicke gelang es ihnen zu vergessen, dass in Annes Körper nicht nur ein Kind wuchs, sondern auch ein gnadenloser Tumor.
     
    Die folgenden Tage und Wochen vergingen, rein äußerlich betrachtet, in harmonischem Gleichmaß. Trotz ihrer Flitterwochen verbrachten die Jungvermählten keineswegs den ganzen Tag im Bett. Sven räumte den restlichen Putz aus der Küche, verputzte die Wand neu und strich sie weiß an. Anne sah darüber hinweg, dass er mittendrin öfter mal einen Pinselstrich vergaß.
    Sie fühlte sich gut, wenn sie sich auch über ihre Krankheit nichts vormachte. Manchmal war sie sogar imstande einzukaufen oder zu kochen. Sie nannte sie Freudentage, an denen sie es sogar schaffte, mit dem Auto bis zum Supermarkt zu fahren und den Einkaufswagen durch die breiten Gänge zu schieben.
    An solchen Tagen machte es ihr auch überhaupt nichts mehr aus, dass die Frauen sie neugierig anstarrten und tuschelnd die Köpfe

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