Stille(r)s Schicksal
Herold, der im Erdgeschoß schon mit dem Mauern der Zwischenwände begonnen hatte. Siggi schimpfte aus einer anderen Ecke: "Denkst wohl, wir machen hier deine Arbeit mit? Und du tauchst nur noch auf zum Zahltag? Da schiebt sich nichts zusammen!"
Das war ja nun wirklich übertrieben, fand Sven, gekommen war er ja schließlich immer, nur eben etwas später. Er überhörte die Vorwürfe geflissentlich, schlich sich an Siggi und Herold vorbei, nahm schweigend sein Werkzeug aus der Kiste und legte los. Seit einiger Zeit hatte er es sich angewöhnt, seine Arbeitssachen schon zu Hause anzuziehen.
Die dadurch gewonnene Zeit brauchte er unbedingt für Laura. Was wussten die hier schon von seinen Problemen!
Sein deutlich zur Schau gestellter Arbeitseifer ließen nun auch die anderen wieder zur Tagesordnung übergehen. Außer den regelmäßigen Geräuschen, die es machte, wenn Kelle, Mörtel und Steine aufeinander trafen, war nichts mehr zu hören.
Bis Ecki aus dem Nebenraum schrie: "Miiiischung!"
Als hätte ihn Eckis Lieblingsschrei herbeigezaubert, mühte sich Lehrling Dirk auch schon mit der Schubkarre über das Bohlenbrett und kippte dem Schreihals das Gewünschte in den Kalkkasten.
"Bin ja schon weg", sagte der Lehrling, als Eckis vorwurfsvoller Blick ihn daran hinderte, sich an ein Fenstersims zu lehnen und eine Zigarette anzuzünden.
Wenig später war von draußen schon wieder das schabende Geräusch des Betonmischers zu hören, dann das Scheppern der Schaufel in der Schubkarre, als Dirk sie über die notdürftig zusammen gezimmerten Bretter schob. Dann wieder drang ein leises Fluchen aus seinem Mund bis zu den Männern und schließlich das helle Geräusch, als seine Schippe kraftvoll in den Sandhaufen gestoßen wurde.
Nun, da auch Sven noch gekommen war, musste er sich noch mehr beeilen. Er konnte einfach das langgezogene iiiiiii nicht ertragen, es ging ihm durch und durch.
Laura muss man einfach gern haben - aber Sven?
Carla Guttich tauschte ihre Filzpantoffeln gegen die Straßenschuhe aus. Gleich würde Laura kommen, ihr kleiner Liebling. Also ging sie schon immer zur Gartenpforte.
Wie so oft dachte sie jetzt wieder daran, dass sie sich eigentlich nicht mehr für diese Arbeit als Tagespflegemutter zur Verfügung stellen wollte. Immerhin hatte sie die Vierzig schon überschritten. Laura hätte, sähe man es rein rechnerisch, schließlich schon ihr Enkel sein können!
Aber als sie von Annes Schicksal hörte, war nicht viel Überredungskunst vonnöten gewesen, um ihre Zustimmung zu erheischen. Und an dem Tag, als sie Laura zum ersten Mal im Arm gehalten hatte, wusste sie, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war.
"Wie geht es Ihrer Frau?" fragte sie wie jeden Morgen.
Sie war schon ein bisschen außer Puste, denn sie war die paar Meter bis zur Pforte gerannt, um Laura ihrem Vater abzunehmen. Er hatte es ja immer eilig.
Und wie jeden Tag, sagte Sven, schwankend zwischen Ärger und Nachsicht: „Naja, wie es eben so geht bei dieser Krankheit."
Carla Guttich merkte, dass sie dem jungen Mann auch heute wieder keine Einzelheiten entlocken würde. Und so beließ sie es bei dieser einen Frage, schien sich auch mit der kargen Antwort abgefunden zu haben. Sie akzeptierte einfach, dass Sven Stiller nichts von seinem Innersten preisgeben wollte. Unter solchen Umständen konnte zwischen ihnen Beiden keine Nähe entstehen.
Ganz anders verhielten sich die Dinge bei Laura. Ihr fühlte sich Carla Guttich von Tag zu Tag enger verbunden.
In ihrem Falle wusste sie, was zu sagen oder zu tun war. Im Moment zog sie der Kleinen besorgt das Mützchen über die Ohren, denn auch auf der kurzen Wegstrecke von der Gartentür bis zum Haus wehte ein kräftiger Nordost.
„ Wird Zeit, dass es richtig Frühling wird, nicht wahr, Laura!" Doch die Kleine schlief unbeeindruckt weiter, die Äderchen schimmerten blau durch die Lider, die dunklen Wimpern zuckten kurz, dann begann Laura leicht zu zittern.
„ Frierst du etwa, mein Kleines?“ fragte die Frau und versprach, dass sie gleich im Warmen sein würden. Ohne sich noch einmal nach Sven Stiller umzudrehen, beschleunigte sie ihre Schritte.
Als die Haustür ins Schloss gefallen war, hörte sie draußen den Motor von Stillers Polo aufheulen. Sven hatte hinter der Kurve wieder ziemlich kräftig Gas gegeben. Wieso denn das, fragte sich Carla verwundert und schaute auf die Uhr, er liegt doch heute ganz gut in der Zeit?
Vorsichtig zog sie ihr Pflegekind aus, legte Jacke und
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