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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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wusste, dass das nur noch vorkam, wenn er sich sehr aufregte.
    Was hatte er im Keller entdeckt?
    "Ich weiß nicht", sagte Anne achselzuckend und schaute verlegen an ihm vorbei, „Wir sprechen nicht über solche Sachen. Wo hast du denn die Milch?"
    Sie konnte sich die Antwort schon denken.
    „ Milch? Ich habe keine gefunden, dafür um so mehr Schnapsflaschen, ein paar volle und noch viel mehr leere, einen Stuhl und ein Kissen darauf. Der ganze Keller sieht aus, als hätte sich dort jemand eine sehr einsame Zufluchtsstätte eingerichtet."
    Anne war bei seinen Worten blass geworden. Gerade hatte sie noch Staubteilchen auf einem Sonnenstrahl tanzen gesehen, nun hatte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Der Tanz war zu Ende.
    Sie hatte es schon seit einiger Zeit gewusst, dass der Keller für Sven zu einer Art Zuflucht geworden war. Und sie gab sich selbst die Schuld für diese Veränderung.
    Stundenlang hockte er manchmal dort unten. Für sie unerreichbar, er wusste ja, dass sie die Treppenstufen nicht mehr hinab.- und auch nicht hinaufsteigen konnte. Immer häufiger kam es vor, dass er erst wieder auftauchte, wenn er glaubte, dass Frau und Tochter bereits fest schliefen. Aber Anne hatte keineswegs immer geschlafen. Sie hatte sehr wohl mitbekommen, dass er jedesmal nach Schnaps roch, wenn er sich schwerfällig und unbeholfen zu ihr ins Bett legte. Sie hatte den Geruch wahrgenommen und ihn doch nicht zur Rede gestellt. Denn sie hatte auch seine Sehnsucht gespürt, seine Einsamkeit. Ob er wohl wusste, dass auch sie sich einsam fühlte, weil sie nicht mehr in der Lage war, mit ihm über ihre Gefühle zu sprechen? So hatte sie die Augen oft zugekniffen und ängstlich darauf gewartet, dass er endlich einschlief. Wie oft hatte sie sich tags darauf für ihre Feigheit geschämt.
    Aber was ging das alles Dieter an?
    Er hatte, wie bei seinen Fotos, nur einen einzigen, wenn auch nicht flüchtigen, Blick gebraucht, um zu wissen, wie es um sie stand. Diese Fähigkeit hatte sie immer bewundert.
    Doch heute war sie ihr unangenehm. Sie wollte nicht, dass ein Außenstehender so viel über sie wusste. Mit Bitterkeit registrierte sie, dass sie das Wort Kollege nicht einmal mehr zu denken wagte. Todgeweihte haben keine Kollegen.
    "Ja, weißt du", nahm sie jetzt ihren Mann in Schutz, „für Sven ist das alles auch nicht so einfach. Früh muss er mich und die Laura versorgen, die Kleine zu ihrer Tagespflegemutter schaffen, dann den ganzen Tag auf dem Bau schuften, tagsüber versorgt mich ja der ambulante Pflegedienst, abends ist Sven wieder in der Pflicht, sich um Laura und mich zu kümmern. Da braucht er eben auch mal ein bisschen Ruhe, vielleicht findet er die ja nur dort unten, im Keller." Sie wusste, dass das alles nicht sehr überzeugend klang.
    Dieter hätte es sich auch denken können, dass sie versuchen würde, ihren Mann zu verteidigen. Sie hatte es noch nie gemocht, wenn jemand schlecht über andere sprach. Zumal derjenige auch noch nicht einmal anwesend war, um sich verteidigen zu können.
    Es war besser zu schweigen. Dieter nickte nur, als hätte er volles Verständnis für ihren Mann.
    „ Ich packe das alles nicht mehr." Anne flüsterte es fast, als müsse sie sich schämen.
    „ Sven sagt mir, er brauche sein Fleckchen im Keller, um zu basteln und sich zu entspannen."
    Das sagte er zwar tatsächlich, aber sie glaubte es ihm schon lange nicht mehr.
    „ Aha, sich entspannen", konnte sich Dieter nicht verkneifen zu murmeln. Die Flecken auf dem blauen Kissen waren ihm nicht entgangen.
    Anne presste die Lippen zusammen. Hatte sie Schmerzen?
    Besorgt legte er seine Hand auf ihren Arm, doch sie zog ihn schnell weg.
    Sie lächelte, aber es kam ihm künstlich und unaufrichtig vor. Genau wie dieses ganze Gerede. Wie eifrig sie sich bemühte, ihm plausible Erklärungen aufzutischen! Sie wusste doch ganz genau, dass ihr Mann mit den vielen Problemen nicht zurechtkam und seinen Ärger in Schnaps ersäufte. Aber warum spielte sie dieses Theater? Hatte sie kein Vertrauen mehr zu ihm? Er stellte sich diese Frage und sah im selben Moment ein, dass er wohl auch nichts anderes erwarten durfte.
    Langsam ließ Dieter das sprudelnde Wasser in die Kanne laufen, stellte sie auf den riesigen Eichentisch, um den er Anne schon in ihrer Wohnung im Würfelhaus beneidet hatte. Schnell war auch der Kurzeitwecker eingestellt.
    „ Stimmt schon“, lenkte er schnell ein, „ist wirklich alles nicht so einfach."
    Dabei spitzte er die Lippen, als wolle

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