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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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So kam es eigentlich allen entgegen, dass er sich oft und gern in seinem Garten am Stadtrand aufhielt. Dort regte ihn nichts und niemand auf, da sich weder Frau noch Sohn oft dort blicken ließen. In und an der alten Steinlaube gab es ständig etwas auszubessern oder zu erneuern. War es nicht die Laube, so sorgten halt die Risse im Wasserbassin für Beschäftigung. Wie heute.
    Margot runzelte die Stirn, als ihr Blick auf die Uhr fiel.
    Schnatterinchen, so nannte sie ihre Freundin Traudel bei sich, könnte aber nun wirklich bald eintrudeln, dachte sie, als es auch schon klingelte.
    „ Na endlich!" schimpfte sie, zwischen Unmut und Freude schwankend. Erwartungsvoll öffnete sie die Korridortür.
    Doch draußen stand nicht ihre Freundin Edeltraud, sondern ihr Sohn. Er musste mit jemandem zur Haustür hereingekommen sein, denn er hatte doch, im Gegensatz zu Edeltraud, keinen passenden Hausschlüssel mehr.
    „ Wie schön!", sagte Margot ohne rechte Überzeugung, denn Sven kam ihr momentan ziemlich ungelegen. Doch der Gedanke an ihr ungestörtes Schwätzchen mit der Freundin war sogleich verflogen, als sie ihren Sohn etwas genauer betrachtete. Seltsam sah er aus. Wie er dastand, so gebückt wie ein alter Mann und so stumm wie ein Fisch, ärgerte sie sich. Doch etwas in ihr verbot ihr, ihren Sohn jetzt anzuraunzen oder gar wegzuschicken.
    Also bat sie ihn herein und bot ihm halbherzig an, dass er doch mit ihr und Traudel Kaffee trinken könne.
    „ Traudel, Schnatterinchen, meine Freundin, du kennst sie ja, kommt nämlich auch gleich“ konnte sie sich nun doch nicht verkneifen zu sagen, bevor sie in die Küche vorauseilte, um zwei weitere Löffel Kaffee in den Filter zu schaufeln und etwas Wasser in die Kaffeemaschine nachzufüllen.
    Wo blieb denn der Junge nur wieder? Noch nicht einmal guten Tag hatte er gesagt!
    „ Svä-hän? Was ist denn los, wo bleibst du denn?" rief sie ihm zu, aber als sie sich umschaute, konnte sie ihn nirgends entdecken. Hatte sie ihn mit der Ankündigung von Schnatterinchens Besuch vergrault? Hastig drückte sie die Türklinke zum Bad nieder, bereute es sofort, denn sie mochte es auch nicht, wenn ihr jemand bis dorthin folgte. Fast erleichtert stellte sie fest, dass gar niemand im Bad war. Treppenflur? Ein Blick übers Geländer. Nichts. Wohnzimmer? Auch nichts. Edeltraud und ihr Besuch rückten allmählich in den Hintergrund ihres Interesses, denn sie spürte plötzlich eine unerklärliche Angst in sich aufsteigen. Mit diesem Gefühl im Magen öffnete sie die Tür zum Kinderzimmer. Als sie ihren Sohn dort hocken sah, ahnte sie schon, was passiert war.
    In dem Moment war Edeltraud vollkommen vergessen.
    Ihr Sohn saß, vornüber gebeugt auf einem Hocker, die Unterarme hatte er auf die Schenkel gestützt, das Kinn war auf die Brust gesunken. Er saß da, einfach so, gab keinen Laut von sich und schaukelte leicht hin und her.
    „ Sven?" Ohne seinen Namen in zwei langgezogene Silben zu zerhacken, sprach sie ihn an, tippte vorsichtig an seine Schulter und wiederholte leise ihre Frage: „Was ist denn nur los?"
    Da erst bemerkte sie das Zucken seiner Schultern, er weinte. Ganz still, die Nase lief, die Tränen auch, aber er schien nichts davon zu bemerken.
    Margot erschrak, sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann ihr Sohn jemals geweint hätte. In ihrer Gegenwart jedenfalls nicht mehr, seit er in die Schule gekommen war. Vor Helmut hatte es Sven („Jungen haben überhaupt nicht zu weinen!“) noch viel eher aufgegeben gehabt.
    Ihre Haut zog sich zusammen, sie fühlte, wie sich die Härchen am Arm aufrichteten. Ihre schreckliche Ahnung wuchs von Sekunde zu Sekunde.
    Margot kniete sich hin, um ihm ins Gesicht zu schauen. Wieso hatte sie das nicht schon an der Tür getan! Sein Anblick drehte ihr jetzt fast das Herz um. Sven schien in wenigen Monaten um Jahre gealtert zu sein. Mühsam rappelte sie sich hoch, nahm ihn ein wenig unbeholfen bei den Schultern, umarmte ihn und flüsterte ihm etwas zu.
    „ Ist ja gut, es wird alles gut, ich bin ja da!"
    Wie in Kindertagen, wenn Helmut ihn mit übertriebener Strenge gemaßregelt hatte. Doch Sven war inzwischen ein Mann und es schien ihr, als prallten ihre Worte an ihm ab.
    Auch ihre Umarmung vermochte ihn wohl nicht zu trösten, denn er stieß seine Mutter brüsk von sich, angelte nach einer Packung Zellstofftaschentücher, riss sie auf und schnäuzte sich geräuschvoll.
    Margot war ein paar Schritte beiseite gegangen und sah aus dem Fenster. Sie

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