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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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nur seine Verlegenheit vertuschen oder kam noch etwas?
    „ Anne, ich möchte dich fotografieren!"
    Damit hatte sie allerdings überhaupt nicht gerechnet. Was für eine absurde Bitte, die sich fast wie eine Forderung anhörte. Anne stockte der Atem bei dem Gedanken an ihr Spiegelbild.
    Fotografieren!
    Fotografieren?
    Sie vermied jeden Blick in den Spiegel, weil sie nicht sehen wollte, wie sie immer mehr verfiel, fahl ihr Gesicht und eingefallen die Wangen, die Augen so tief in ihren Höhlen. Sven hatte schon recht, wenn er sagte, dass ihr Kopf immer mehr einem Totenschädel gleiche. Es war ihm in einem Moment herausgerutscht, als er sich unbeobachtet fühlte.
    Und so etwas wollte dieser Mensch auf Fotos festhalten? Einen Totenschädel? Es war ungeheuerlich! Wozu?
    Anne atmete schwer, Dieter konnte sehen, wie sich hinter ihrer Stirn die Gedanken jagten. Er bedrängte sie nicht weiter, wartete geduldig, schließlich kannte er sie gut genug und wusste, dass Anne noch niemals die Augen vor der Realität verschlossen hatte. So bemerkte er auch bald ihren langsam eintretenden Sinneswandel.
    Sie hatte an ihr Tagebuch gedacht und daran, dass sie ja eigentlich so viel wie möglich von sich für ihre Tochter bewahren wollte. Wieso denn dann nicht auch ihr schlimmes Äußeres?
    „ Gut“, sagte sie schließlich ruhig, „mache deine Fotos. Sie sollen für Laura sein. Soll sie ruhig sehen, wie ihre Mutter zuletzt ausgesehen hat.“
    Ihr Blick war jetzt ganz offen, wenn auch ein bisschen trotzig.
    Dieter kräuselte wieder leicht seine Lippen, pfiff aber auch diesmal nicht, sondern nickte ernst.
    Keine aufbrausende, theatralische Reaktion auf das Wort zuletzt? Anne war ihm dankbar.
    Wie oft hatte sie sich so eine innere Ruhe von ihrem Mann gewünscht, doch Sven konnte solche Wörter nicht ertragen. Manchmal hatte sie nicht daran gedacht und wieder von den „letzten Wochen“ oder ähnlichem gesprochen. Dann hatte er sie jedes Mal wütend angeschrien, und er war noch eher als sonst am Abend zu seinem Seelentröster in den Keller geflüchtet.
    Annes nahes Ende versank für ihn gewissermaßen in Hochprozentigem.
    Es war so leicht, sich etwas vorzumachen. Manchmal hatte sie sich sogar selbst schon dabei ertappt.
    Um so dankbarer war sie jetzt für Dieters Aufrichtigkeit. Er bemitleidete sie nicht, regte sich auch nicht auf, wenn Anne ihren nahen Tod erwähnte. Er saß einfach nur da, wippte mit dem Fuß, trank Tee und schaute sie an.
    Sie beschloss, von nun an auch wieder den Tatsachen ins Auge zu sehen. Als wäre das für sie eine große Erleichterung, knuffte sie den Fotografen freundschaftlich in die Seite, dass das Teeglas ziemlich unsanft auf dem Tisch landete.
    „ Na, mach schon deine Fotos,“ sagte sie, „es ist in Ordnung."
    Da ließ Dieter den Tee stehen, nahm die Kamera und drückte auf den Auslöser. Er hatte extra einen hochempfindlichen Film eingelegt, damit er auch im Zimmer keinen Blitz brauchte. So verhinderte er schon seit Jahren, dass die Gesichter zu flachen, kalkigen Masken erstarrten.
    Immer wieder hörte Anne das leise Surren des Objektivs, das Klicken des Auslösers.
    Dieter Ebert fotografierte so besessen wie lange nicht. Anne hörte bald auf, ihn bei seiner Arbeit zu beobachten, sie unterhielt sich mit ihm wie mit einem Vertrauten, sie wusste, dass er ihr zuhörte. Sie erzählte, dass sie "noch den richtigen Frühling, nicht nur den kalendermäßigen" erleben wolle, dass sie sich schon auf die Tulpen in ihrem kleinen Vorgarten freue.
    Sie erzählte eine Menge von Laura, wie glücklich sie ihr Lächeln mache, wie sehr sie es bedaure, dass sie ihre Tochter nicht einmal mehr baden, wickeln oder füttern konnte.
    Mit herzlicher Wärme erzählte sie auch von ihren Eltern und davon, wie sehr sie ihr fehlten. Gerade jetzt. Und sie verschwieg nicht einmal mehr ihre Eintragungen in den dicken Kalender, das Tagebuch für ihre Tochter.
    "Jeden Tag schreibe ich etwas auf. Sie soll alles wissen, was ich zu allerletzt gedacht und gefühlt habe. Alles" endete Anne nachdenklich.
    "Was heißt denn hier zu allerletzt?" versuchte Dieter nun doch einen zaghaften Protest, aber seine Augen verrieten ihr, dass er sehr wohl wusste, wie es um sie stand.
    Nach dem Fotografieren wechselte Dieter mit flinken Fingern den dritten Film und verabschiedete sich eilig, denn jetzt musste er sich tatsächlich sputen, damit er seinen Termin im Kindergarten nicht verpasste.
    Im Auto ließ er das Gespräch mit Anne, eigentlich war es ja mehr

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