Stilles Echo
keine kleinen Angestellten oder Krämer, die kaum etwas zu verlieren haben. Es sind wohlhabende Männer, die eine gewisse Stellung in der Gesellschaft innehaben. Sie zu ruinieren, wäre bei weitem wirksamer. Es wäre langsamer, qualvoller und absolut legal.«
MacPherson sah ihn prüfend an.
»Soll ihresgleichen sie bestrafen«, fuhr Monk ungerührt fort.
»Darauf verstehen diese Leute sich bestens. Glauben Sie mir. Sie haben es zu einer Kunst entwickelt.«
MacPherson schnitt eine Grimasse. »Sie haben sich nicht geändert, Monk. Ich hätte Sie nicht unterschätzen dürfen. Sie sind ein böser Teufel. Ich würde mich Ihnen nicht in den Weg stellen. Damals habe ich versucht, Runcorn vor Ihnen zu warnen, aber er war zu blind, um es zu sehen. Heute würde ich ihm raten, gut auf sich aufzupassen, nachdem er Sie rausgeworfen hat, aber es würde wieder nichts nutzen. Sie werden auf den richtigen Zeitpunkt warten, und dann werden Sie ihn kriegen, auf die eine oder andere Weise.«
Monk fror plötzlich. So hart er auch war, MacPherson hielt ihn für noch härter, noch skrupelloser. Er sah in Runcorn immer noch das Opfer. Er kannte nicht die ganze Geschichte. Er kannte nicht Runcorns gesellschaftlichen Ehrgeiz, seinen moralischen Wankelmut, wann immer eine Entscheidung seine eigene Karriere gefährden konnte, wußte nicht, welche Winkelzüge er gemacht hatte, um denen zu gefallen, die die Macht hatten. Ganz gleich, um welche Art von Macht es sich handelte. Er kannte seine Engstirnigkeit nicht, seinen Mangel an Phantasie, seine unbeschreibliche Feigheit, seine Niedertracht!
Aber andererseits kannte auch Monk selbst nicht die ganze Geschichte.
Und der schlimmste Gedanke von allen, der ihn bis auf die Knochen frieren machte – war Monk verantwortlich für das, wozu Runcorn geworden war? War es etwas, das er in der Vergangenheit getan und das Runcorns Seele verzerrt und verbogen hatte und ihn zu dem werden ließ, was er heute war?
»An wen wende ich mich?« sagte er laut. »Wer weiß, was in St. Giles vorgeht?«
Macpherson dachte ein oder zwei Sekunden lang nach.
»Da wäre zum einen Willie Snaith«, sagte er schließlich.
»Und dann die alte Bertha. Aber sie werden nicht mit Ihnen reden, es sei denn, jemand bringt Sie hin und verbürgt sich für Sie.«
»Das dachte ich mir«, antwortete Monk. »Begleiten Sie mich.«
»Ich?« MacPherson schien empört zu sein. »Ich soll mein Geschäft im Stich lassen? Und wer kümmert sich um dieses Lokal, wenn ich Ihre Arbeit tue?«
Monk nahm eine von Vidas Guineen aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.
MacPherson knurrte etwas Unverständliches. »Sie müssen verzweifelt sein«, sagte er dann trocken. »Warum? Was bedeutet es Ihnen, wenn ein paar erbärmliche Frauen vergewaltigt oder geprügelt werden? Erzählen Sie mir nicht, es wäre eine dabei, an der Ihnen was liegt!« Er sah Monk mit durchdringender Aufmerksamkeit an. »Da muß noch mehr dahinterstecken. Sind diese Bastarde Ihnen irgendwie krumm gekommen? Ist es das? Oder hat es immer noch mit Runcorn und der Polizei zu tun? Sie wollen die vorführen, was?«
»Ich habe es Ihnen doch bereits erklärt«, sagte Monk gereizt.
»Es ist kein Polizeifall.«
»Sie haben recht«, räumte MacPherson ein. »Das wäre auch unmöglich. Runcorn ist keiner, der so ein Risiko eingehen würde. Immer auf Nummer Sicher, immer vorsichtig. Nicht wie Sie!« Er lachte plötzlich auf und erhob sich dann. »Also schön. Kommen Sie, ich bringe Sie zu Willie.«
Monk folgte ihm sofort.
Draußen, wieder mit schweren Überziehern bekleidet, ging MacPherson voran und führte Monk tiefer nach St. Giles hinein, in den alten Teil des Bezirks, der Anfang des Jahrhunderts unter dem Namen »Heiliges Land« bekannt gewesen war. Er ging nicht durch Straßen und Gassen, sondern durch Gänge zwischen den Häusern, die manchmal nicht mehr als einen Meter breit waren. An vielen Stellen herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Der Boden unter ihnen war naß von dem Wasser, das ständig von den Dächern heruntertropfte. Man hörte das Rascheln und Kratzen der Ratten, das Knirschen verrottenden Holzes. MacPherson blieb mehrmals stehen, und Monk, der ihn nicht sehen konnte, ging weiter und stieß mit ihm zusammen.
Zu guter Letzt kamen sie auf einen Hof, auf dem eine einzige, gelbe Gaslampe brannte, und ihr Licht schien im Vergleich zu der vorherigen Finsternis geradezu strahlend zu sein. Die Umrisse einer Holzhütte hoben sich scharf und schwarz gegen die Nacht
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