Stilles Echo
schmächtiger, und alle drei waren sie Gentlemen, die sich von einem Hansom hin und herkutschieren ließen«, antwortete Hester tonlos.
Rathbone seufzte. »Sie hören sich an, als hielten Sie ihn für schuldig, Hester. Stimmt das?«
»Er sagt, er sei nicht schuldig«, antwortete sie sehr langsam und mit Bedacht. »Ich bin mir nicht sicher, wieweit er sich erinnern kann. Es macht ihm Angst, es entsetzt ihn. Wenn er seine Unschuld beteuert, sagt er vielleicht nur das, was er selbst glauben möchte. Vielleicht weiß er es gar nicht genau.«
»Aber Sie glauben, daß er, aus welchem Grund auch immer, die Tat begangen hat«, sagte er.
»Ja… ja, ich denke schon. Ich kann nicht umhin, das zu glauben.«
»Was erwarten Sie dann von mir?«
»Daß Sie ihm helfen. Ich…« Jetzt erst wurde ihr bewußt, daß ihre Anwesenheit hier in diesem Büro viel mehr gefühlsmäßige als vernünftige Gründe hatte, nicht nur im Hinblick auf Rhys, sondern auch, was ihre Bitte an Rathbone betraf. Trotzdem konnte sie nicht zurück, nicht einmal jetzt, da ihr das klargeworden war. »Bitte, Oliver! Ich weiß nicht, wie es passiert ist oder warum er sich in eine solch verzweifelte Situation hineinmanövriert hat. Ich kann keine mildernden Umstände für ihn geltend machen. Ich weiß nicht, was es ist, ich muß einfach glauben, daß da irgend etwas ist.« Sie betrachtete sein humorvolles, intelligentes Gesicht, das manchmal so kühl wirken konnte und in dem jetzt ein so sanfter Ausdruck stand.
Hester zwang sich, an Rhys zu denken, an sein Grauen, seine Hilflosigkeit.
»Vielleicht ist es nicht Gerechtigkeit, die ich erbitte, sondern Barmherzigkeit? Er braucht jemanden, der für ihn das Wort ergreift.« Sie stieß ein gequältes kleines Lachen aus. »Und das sogar im buchstäblichen Sinne! Ich glaube nicht, daß er durch und durch schlecht ist. Ich habe so viele Stunden mit ihm verbracht, war ihm so nahe. Ich habe seinen Schmerz mit angesehen. Wenn er diese Dinge getan hat, dann muß es einen Grund geben, irgend etwas, das sein Verhalten erklärt! Ich meine…«
»Sie meinen geistige Unzurechnungsfähigkeit«, beendete er den Satz für sie.
»Nein, nicht das…«
»O doch, genau das meinten Sie, meine Liebe.« Seine Stimme klang sehr geduldig, als versuche er, ihr nicht mehr als unbedingt notwendig weh zu tun. »Ein junger Mann geht nicht hin und prügelt und vergewaltigt Frauen, die er nicht kennt, und ermordet dann seinen Vater, weil der ihn dabei überrascht hat. Wer sich so verhält, ist nicht das, was die Menschen für gewöhnlich als normal bezeichnen. Ob das Gesetz zu derselben Unterscheidung kommen wird, weiß ich nicht. Ich möchte es allerdings stark bezweifeln.« Rathbones Augen waren voller Kummer. »Das Gesetz ist sehr präzise bei seiner Definition von geistiger Unzurechnungsfähigkeit, und die Tatsache, daß Rhys seinen Vater überhaupt angegriffen hat, legt die Vermutung nahe, daß er sehr wohl wußte, wie unrecht seine Gewalttaten gegen diese Frauen waren. Und nur das wird seine Richter interessieren. Er wußte, was er tat, und das ist der entscheidende Faktor.«
»Aber da muß noch irgend etwas anderes sein!« rief sie unglücklich. »Ich kann es einfach nicht dabei bewenden lassen! Ich habe ihn zu oft beobachtet, zu lange…«
Er erhob sich und kam um den Schreibtisch herum. »Dann werde ich alles Notwendige veranlassen, um ihn aufzusuchen, das heißt, falls Mrs. Duff wünscht, daß ich ihn vertrete.«
»Er ist nicht minderjährig!« sagte sie hitzig und erhob sich ebenfalls. »Er ist es, der Sie als Verteidiger will!«
Rathbone lächelte trocken und mit einer Spur kläglicher Belustigung. »Meine liebe Hester, wenn er weder sprechen noch schreiben kann und keinen eigenen Beruf hat, wird ihm nicht nur die Fähigkeit abgehen, für sich selbst einzutreten, er wird wohl auch nicht die finanziellen Mittel dafür haben.«
»Sein Vater war ein wohlhabender Mann! Er hat gewiß Vorsorge für ihn getroffen!« wandte sie ein.
»Nicht, wenn er seinen Vater getötet hat, Hester. Das wissen Sie genausogut wie ich. Wenn er für das Verbrechen verurteilt wird, kann er nicht erben. Ich arbeite innerhalb der Grenzen des Gesetzes«, sprach er weiter. »Unter den gegebenen Umständen muß ich zuerst mit seiner Mutter sprechen.« Echte Erheiterung ließ seine Lippen zucken. »Aber da Sie im Haus sind und zweifellos das Kommando führen, wird Mrs. Duff sich gewiß sehr entgegenkommend zeigen.«
Sie errötete. »Ich danke Ihnen,
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