Stilles Echo
es tun würde. Einzig Rhys’ jämmerliche Verfassung hatte ihn davon abgehalten. Das Schicksal hatte den jungen Mann bereits grausam gestraft, und eine Verurteilung wegen Mordes würde genügen, um ihn hängen zu lassen. Mehr war nicht notwendig.
Rathbone verließ den Gerichtssaal mit dem Gefühl, besiegt worden zu sein, ohne auch nur im geringsten gekämpft zu haben. Er hatte nichts für Rhys getan, hatte das Vertrauen, das Hester und Sylvestra ihm entgegenbrachten, durch nichts gerechtfertigt. Er war beschämt und wußte doch nichts zu sagen, womit er Rhys auch nur den leisesten Dienst erwiesen hätte.
Natürlich konnte er Zeugen in die Enge treiben, Einwände gegen Goodes Fragen erheben, seine Taktik, seine Logik und alles andere in Zweifel ziehen, aber all das hatte keinem anderen Zweck gedient, als den Anschein einer Verteidigung zu erwecken. Es wäre reine Heuchelei gewesen. Er wußte es, und Hester würde es ebenfalls wissen. Würde es Rhys in irgendeiner Weise Trost schenken? Oder würde es ihn nur zu falscher Hoffnung verleiten?
Zumindest sollte er den Mut aufbringen, jetzt zu Rhys zu gehen, statt vor der Situation zu fliehen, was ihm soviel lieber gewesen wäre.
Als Rathbone neben Rhys trat, war Hester bereits dort. Als sie Rathbones Schritt hörte, drehte sie sich um, und in ihren Augen stand ein verzweifelter Ausdruck, als flehe sie um ein wenig Hoffnung, irgendeine Hoffnung.
Sie saßen zusammen in der grauen Zelle unter dem Old Bailey. Rhys hatte starke Schmerzen, seine Muskeln waren verkrampft, und seine gebrochenen Hände zitterten. Er sah zutiefst niedergeschlagen aus. Hester, die neben ihm saß, hatte ihm einen Arm um die Schultern gelegt.
Rathbone war am Ende seiner Weisheit.
»Rhys!« sagte er angespannt. »Sie müssen uns erzählen, was passiert ist! Ich möchte Sie verteidigen, aber ich habe nichts, was ich zu Ihrer Verteidigung vorbringen könnte!« Auch seine eigenen Muskeln waren verkrampft, seine Hände in hilflosem Zorn zu Fäusten geballt. »Ich habe keine Waffen! Haben Sie ihn getötet?«
Rhys schüttelte den Kopf, vielleicht einen Zoll weit in jede Richtung, aber das Nein war offenkundig.
»Es war jemand anderes?«
Wieder nur eine winzige Bewegung, aber eindeutig ein Nicken.
»Wissen Sie, wer?«
Ein Nicken, ein bitteres Lächeln mit zitternden Lippen.
»Hat es etwas mit Ihrer Mutter zu tun?«
Ein kaum merkliches Schulterzucken, dann ein Kopfschütteln. Nein.
»Ein Feind Ihres Vaters?«
Rhys wandte sich ruckartig ab und begann, sich mit den Händen auf die Schenkel zu schlagen, so daß die Schienen verrutschten.
Hester hielt ihn an den Handgelenken fest. »Hören Sie auf damit!« sagte sie laut. »Sie müssen es uns erzählen, Rhys. Verstehen Sie nicht? Man wird Sie für schuldig befinden, wenn wir nicht beweisen können, daß es jemand anderes war oder zumindest hätte gewesen sein können!«
Rhys nickte langsam, sah sie aber immer noch nicht an.
Es blieb ihnen nichts anderes mehr als die Brutalität der Wahrheit.
»Man wird Sie hängen«, sagte Rathbone bedächtig.
Rhys’ Kehle zuckte, als wolle er etwas sagen, dann wandte er sich abermals von ihnen ab und weigerte sich, sie anzusehen.
Hester blickte mit Tränen in den Augen zu Rathbone auf.
Er stand eine Weile reglos da. Es gab nichts, was er sagen oder tun konnte. Schließlich seufzte er leise und verließ die Zelle. Im Korridor begegnete er Corriden Wade, der auf dem Weg zu Rhys war. Zumindest würde er ihm ein wenig Linderung für seine körperlichen Schmerzen verschaffen oder ihm einen Heiltrank geben können, der ihm ein paar Stunden Schlaf schenkte.
Kurz darauf erblickte Rathbone Sylvestra, die am Rande des Zusammenbruchs zu stehen schien. Wenigstens war Fidelis Kynaston an ihrer Seite.
Rathbone verbrachte den Abend allein in seiner Wohnung, außerstande, zu essen oder sich auch nur vor seinen Kamin zu setzen. Er ging im Raum auf und ab und klopfte in Gedanken eine nutzlose Tatsache nach der anderen ab, bis sein Butler hereinkam, um zu melden, daß Monk in der Halle war.
»Monk!« Rathbone klammerte sich schon an den Namen des Ermittlers, als sei er ein rettendes Floß für einen Ertrinkenden.
»Monk! Bringen Sie ihn herein, sofort!«
Monk sah müde und blaß aus. Aus seinem Haar tropfte es, und sein Gesicht leuchtete vor Nässe.
»Nun?« fragte Rathbone, der unwillkürlich nach Luft schnappte. Seine Hände waren steif, und ein unangenehmes Prickeln durchlief ihn. »Was haben Sie für mich?«
»Ich
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