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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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tut mir leid, Sir«, entgegnete der Wärter scharf. »Aber wir werden auf den Anwalt warten, bevor wir den Gefangenen irgendwie medizinisch behandeln. Im Augenblick geht es ihm einigermaßen gut. Die Krankenschwester hier hat sich um ihn gekümmert. Sie werden einfach geduldig abwarten müssen, und sobald der Anwalt seine Arbeit getan hat, können Sie sich um Ihren Patienten kümmern, wie es Ihnen gefällt.«
    Wade öffnete den Mund, als wolle er Einwände erheben, erkannte dann aber, daß es nutzlos gewesen wäre. Er stand da wie ein Tier in der Falle, ohne Hoffnung auf ein Entkommen.
    Rhys sah Hester an.
    Sie erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln, dann drehte sie sich um und wandte sich wieder Wade und dem Wärter zu. Ihr war übel, so sehr schmerzte die Desillusionierung über diesen Mann.
    Die Minuten verrannen.
    Rathbone kam mit geweiteten Augen und gerötetem Gesicht in die Zelle geeilt.
    »Ich will…«, begann Rhys und holte dann bebend Atem.
    »Ich will Ihnen sagen, was passiert ist.«
    Schweigend wandte Corriden Wade sich um und verließ den Raum.
    Das Gericht trat am Vormittag wieder zusammen. Rhys war nicht anwesend, da man ihn wieder ins Krankenhaus gebracht und der Obhut Dr. Rileys unterstellt hatte, auch wenn er weiter von einem Polizisten bewacht wurde. Er war nach wie vor eines schrecklichen Verbrechens angeklagt.
    Die Galerie war überraschend leer. In jeder Reihe gab es freie Sitzplätze. Die Leute waren davon ausgegangen, daß Rhys’ Sturz über das Geländer ein Selbstmordversuch gewesen sein müsse und daher ein stillschweigendes Eingeständnis seiner Schuld. Es war alles vorbei, bis auf das Urteil. Die drei Frauen, Sylvestra Duff, Eglantyne Wade und Fidelis Kynaston, saßen nebeneinander und waren von unten deutlich zu erkennen. Sie sahen einander nicht an, aber es herrschte eine Nähe zwischen ihnen, eine Art wortloser Kameradschaft, die jedem offenbar wurde, der sie nur sorgfältig genug betrachtete.
    Der Richter erinnerte die Geschworenen an ihre Pflichten und gab Rathbone Anweisung, mit der Verteidigung fortzufahren. Die Geschworenen sahen grimmig, aber resigniert drein, als sei ihre Anwesenheit bei der Verhandlung nur noch eine Formsache und vollkommen sinnlos.
    »Vielen Dank, Euer Ehren«, antwortete Rathbone. »Ich rufe Mrs. Fidelis Kynaston in den Zeugenstand.«
    Ein Raunen der Überraschung ging durch den Saal, als Fidelis mit bleichem Gesicht die Stufen zum Zeugenstand hinaufstieg. Sie legte den Eid ab und sah Rathbone mit hoch erhobenem Kopf an, aber ihre auf dem Geländer ruhenden Hände waren zu Fäusten geballt, als brauche sie jeden Halt, den sie finden konnte.
    »Mrs. Kynaston«, begann Rathbone sanft. »Haben Sie am Abend vor Weihnachten in Ihrem Haus eine Gesellschaft gegeben?«
    Sie hatte gewußt, was er fragen würde. Mit heiserer Stimme antwortete sie: »Ja.«
    »Wer war an dem betreffenden Abend anwesend?«
    »Meine beiden Söhne, Rhys Duff, Lady Sandon, Rufus Sandon und ich.«
    »Um wieviel Uhr hatte Rhys Duff Ihr Haus verlassen?«
    »Etwa gegen zwei Uhr morgens.«
    Von der Galerie kam plötzlich ein Geräusch, das wie das Rascheln von Stoff klang. Einer der Geschworenen beugte sich ruckartig nach vorn. »Sind Sie sich sicher, was die Uhrzeit betrifft, Mrs. Kynaston?« hakte Rathbone nach.
    »Ich bin mir absolut sicher«, erwiderte sie. Sie sah ihm direkt in die Augen. »Wenn Sie Lady Sandon oder irgendeinen meiner Bediensteten fragen, werden sie Ihnen dasselbe sagen.«
    »Also kann Rhys Duff unmöglich einer der Männer gewesen sein, die um Mitternacht die unglückliche Frau in St. Giles vergewaltigt haben?«
    »Nein.« Sie schluckte krampfhaft. »Das ist unmöglich.«
    »Vielen Dank, Mrs. Kynaston, das ist alles, was ich Sie fragen wollte.«
    Goode dachte ein oder zwei Sekunden lang nach und verzichtete dann darauf, die Zeugin zu befragen.
    Rathbone rief den Droschkenkutscher Joseph Roscoe auf. Roscoe beschrieb den Mann, den er am Abend vor Weihnachten gesehen hatte, als der mit Blut an den Händen und im Gesicht St. Giles verließ. Rathbone legte ihm ein Porträt von Leighton Duff vor.
    »Ist das der Mann, den Sie gesehen haben?« Roscoe zögerte nicht. »Ja, Sir, das ist er.«
    »Euer Ehren, das ist ein Porträt von Leighton Duff, den Mr. Roscoe soeben identifiziert hat.«
    Weiter kam er nicht. Der Lärm im Gericht klang wie die Brandung des Meeres. Sylvestra saß wie erstarrt da, ihr Gesicht eine Maske blanken, ungläubigen Entsetzens. Eglantyne Wade stützte

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