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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sie. Fidelis starrte stocksteif immer noch den Droschkenfahrer an. Die Geschworenen blickten fassungslos von dem Zeugen zu Rathbone und wieder zurück.
    Der Richter war ernst und zutiefst beunruhigt. »Sind Sie sich in dieser Sache absolut sicher, Sir Oliver? Wollen Sie behaupten, daß Leighton Duff und nicht Rhys Duff all diese furchtbaren Vergewaltigungen begangen hat?«
    »Jawohl, Euer Ehren«, sagte Rathbone mit Überzeugung.
    »Leighton Duff war einer von drei Männern. Rhys Duff hatte nichts mit ihnen zu tun. Er ist tatsächlich nach St. Giles gegangen und hat dort eine Prostituierte aufgesucht. Aber er hat den geforderten Preis gezahlt und sich nicht die geringste Gewalttätigkeit zuschulden kommen lassen. Wir alle mögen, was solches Verhalten betrifft, unser moralisches Urteil haben, aber es ist kein Verbrechen, und es ist gewiß weder eine Vergewaltigung noch ein Mord.«
    »Aber wer hat dann Leighton Duff ermordet, Sir Oliver? Er hat nicht Selbstmord begangen. Es scheint offensichtlich zu sein, daß er und Rhys miteinander gerungen haben, und Rhys hat überlebt, während sein Vater starb.«
    »Mit Eurer Erlaubnis, Euer Ehren, werde ich es dem Gericht erklären.«
    »Sie müssen mehr tun, als es nur zu erklären, Sir Oliver. Sie müssen es diesem Gericht und diesen Geschworenen beweisen, ohne jeden Zweifel.«
    »Genau das habe ich vor, Euer Ehren. Zu diesem Zweck rufe ich Miss Latterly in den Zeugenstand.«
    Seine Worte weckten erneut großes Interesse im Saal. Die Leute reckten die Hälse, während Hester durch den Raum ging, die Stufen hinaufstieg und den Eid ablegte.
    »Welcher Beschäftigung gehen Sie nach, Miss Latterly?« begann Rathbone beinahe im Plauderton.
    »Ich bin Krankenschwester.«
    »Haben Sie zur Zeit einen Patienten?«
    »Ja. Ich bin mit der Pflege von Rhys Duff betraut gewesen, seit er nach dem Zwischenfall in der Water Lane aus dem Krankenhaus entlassen wurde.«
    »Hat sich auch ein Arzt um ihn gekümmert?«
    »Dr. Corriden Wade. Er war, wie man mir erzählt hat, seit vielen Jahren der Arzt der Familie.«
    Der Richter beugte sich vor. »Bitte beschränken Sie sich auf die Dinge, die Sie wissen, Miss Latterly.«
    »Es tut mir leid, Euer Ehren.«
    »Haben Sie in der Armee Erfahrung mit Männern gesammelt; die auf dieselbe Weise und genauso schwer verletzt waren wie Rhys Duff, Miss Latterly?«
    »Ja. Ich habe in Scutari viele verletzte Soldaten gepflegt.«
    Ein Raunen der Bewunderung ging durch die Galerie. Zwei der Geschworenen nickten.
    »Haben Sie seine Verletzungen selbst behandelt oder ihn nur gepflegt, ihn saubergehalten, ihm beim Essen geholfen und sich darum gekümmert, daß seine Wünsche berücksichtigt wurden?« Rathbone mußte aufpassen, wie er seine Fragen formulierte. Bisher schien niemand sonst auch nur die leiseste Ahnung zu haben, was er zu beweisen versuchte. Er durfte Hester nicht beeinflussen, und er mußte dafür sorgen, daß die Geschworenen, sobald er ihnen die Wahrheit bewiesen hatte, nicht mehr den leisesten Zweifel hatten.
    Goode hörte gespannt zu.
    »Ich habe die Wunden oberhalb der Taille behandelt«, erwiderte Hester. »Es handelte sich dabei um Prellungen von sehr ernster Natur. Außerdem habe ich die gebrochenen Knochen in seinen Händen und zwei gebrochene Rippen versorgt. Dr. Wade sagte mir, daß er die Verletzungen unterhalb der Taille selbst verbinden wollte. Auf diese Weise wollte er Mr. Duff jede Peinlichkeit ersparen.«
    »Ich verstehe. Sie haben diese Verletzungen also nie selbst gesehen?«
    »Das ist korrekt.«
    »Also was die Natur und das Ausmaß dieser Verletzungen betraf, haben Sie sich auf Dr. Wades Wort verlassen. Er hat Ihnen auch gesagt, daß die Wunden heilten, so gut man es erwarten konnte?«
    »Jawohl.«
    Der Richter beugte sich abermals vor. »Sir Oliver, haben die Natur oder die Lage von Mr. Duffs Wunden irgendeinen Zusammenhang mit der Frage, ob er für den Tod seines Vaters verantwortlich war? Ich gestehe, daß mir das nicht einleuchten will!«
    »Doch, Euer Ehren, der Gedankengang, den ich verfolge, ist von größter Wichtigkeit.« Rathbone wandte sich wieder Hester zu. »Miss Latterly, hat Mr. Duff während der Zeit, in der Sie ihn pflegten, irgendwann in ungewöhnlichem Maß einen Aufruhr der Gefühle erkennen lassen?«
    Goode erhob sich. »Euer Ehren, Miss Latterly hat Mr. Duff vor der Tragödie nicht gekannt. Sie kann unmöglich wissen, ob seine Erregung ungewöhnlich war oder nicht.«
    Der Richter sah Rathbone an. »Sir Oliver?

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