Stilles Echo
an. Er mußte einen Teil ihrer Gefühle erraten haben, die Erinnerungen an Rhys, wie er sich in sein Kissen kauerte, während er im Geiste etwas Unaussprechliches noch einmal durchlebte, etwas, das so schrecklich war, daß er es nicht in Worte fassen konnte.
»Ich werde nicht in ihn dringen«, versprach er und senkte die Stimme. »Aber er hat vielleicht den Wunsch, mit mir zu reden. Wir müssen ihm diese Möglichkeit geben. Wir müssen die Wahrheit wissen. Mag sein, daß auch er das Bedürfnis hat, die Wahrheit zu erfahren, Mrs. Duff.«
»Glauben Sie?« Sie sah ihn skeptisch an. »Keine Rache und auch keine Gerechtigkeit wird etwas an dem Tod meines Mannes ändern oder an Rhys’ Verletzungen. Es dient lediglich einer verschwommenen Idee dessen, was gut und recht ist, und ich bin mir nicht sicher, wie wichtig mir das ist.«
Hester glaubte einen Augenblick, Evan werde Einwände erheben, aber er sagte nichts, sondern trat lediglich einen Schritt zurück und wartete darauf, daß Hester ihm den Weg zeigte.
Oben lag Rhys ruhig da, die geschienten Hände ruhten auf der Decke, und sein Gesichtsausdruck war friedlich, als schliefe er beinahe. Als er sie hörte, wandte er den Kopf. Er wirkte zurückhaltend, aber nicht verängstigt oder über Gebühr argwöhnisch.
»Es tut mir leid, Sie noch einmal beunruhigen zu müssen, Mr. Duff«, begann Evan, bevor Hester oder Sylvestra auch nur ein Wort sagen konnten. »Aber meine Nachforschungen haben mich bisher kaum weitergebracht. Ich weiß, daß Sie noch nicht sprechen können, aber wenn ich Ihnen einige Fragen stelle, können Sie mir ein Ja oder ein Nein bedeuten?«
Rhys erwiderte seinen Blick beinahe ohne einen Wimpernschlag. Hester bemerkte, daß sie mit den Zähnen knirschte und daß ihre Hände klebrig von Schweiß waren. Sie wußte, daß Evan keine andere Wahl hatte, als die Sache weiterzuverfolgen. Rhys war der einzige, der die Wahrheit kannte, aber sie wußte nicht, daß diese Fragen den jungen Mann mehr kosten würden, als seine Mutter erraten konnte, oder gar Evan, der dort vor dem Bett stand und so freundlich und mitfühlend aussah.
»Als Sie an jenem Abend ausgingen«, begann Evan, »haben Sie da jemanden getroffen, den Sie kannten, einen Freund vielleicht?«
Der Anflug eines Lächelns huschte über Rhys’ Mund, schmerzlich und verbittert. Er rührte sich nicht.
»Ich habe die falsche Frage gestellt.« Evan ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sind Sie ausgegangen, um sich mit einem Freund zu treffen? Hatten Sie eine Verabredung?«
Rhys schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte Evan an Rhys’ Stelle. »Haben Sie zufällig jemanden getroffen?«
Rhys bewegte seine Schulter ein klein wenig, es war beinahe ein Achselzucken.
»Einen Freund?«
Diesmal war die negative Antwort unverkennbar.
»Jemanden, den Sie nicht mögen? Einen Feind?«
Wieder dieses Achselzucken, diesmal ärgerlich, ungeduldig.
»Sind Sie direkt nach St. Giles gegangen?«
Rhys nickte sehr langsam, als bereite es ihm Mühe, sich daran zu erinnern.
»Waren Sie früher schon einmal dort?« fragte Evan nun mit gesenkter Stimme.
Rhys nickte. Sein Blick verriet keinerlei Zaudern.
»Wußten Sie, daß Ihr Vater ebenfalls dorthin unterwegs war?«
Rhys verkrampfte sich sichtbar, und sein Körper wurde steif, bis die Muskeln vollkommen angespannt schienen.
»Wußten Sie es?« wiederholte Evan.
Rhys verkroch sich tiefer in das Kissen und zuckte zusammen, da diese Bewegung ihm offensichtlich Schmerzen bereitete. Er versuchte zu sprechen; sein Mund formte die Worte, seine Kehle bebte, aber über seine Lippen kam kein Laut. Er begann zu zittern. Das Atmen fiel ihm schwer, und er keuchte, als sei seine Kehle zu eng geworden, um Luft hindurchzulassen.
Sylvestra beugte sich vor. »Hören Sie auf!« befahl sie Evan.
»Lassen Sie ihn in Ruhe.« Sie stellte sich zwischen die beiden, als stelle Evan eine körperliche Bedrohung für ihren Sohn dar. Dann drehte sie sich zu Rhys herum, aber der schrak auch vor ihr zurück, als könne er den Unterschied zwischen den beiden Menschen vor seinem Bett nicht mehr erkennen.
Sylvestras Gesicht wurde aschfahl. Sie suchte krampfhaft nach Worten, mit denen sie Rhys hätte trösten können, aber diese Situation ging über ihre Kraft. Sie war verwirrt, verängstigt und verletzt.
»Sie müssen jetzt beide gehen«, sagte Hester entschieden.
»Bitte! Sofort!« Als sei die Ausführung ihres Befehls eine Selbstverständlichkeit, wandte sie sich daraufhin an Rhys, der
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