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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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jung?«
    »Keine Ahnung. Ich habe sie nicht gesehen. An der Stimme kann man so was nicht hören.«
    »Glatt rasiert oder bärtig?«
    »Rasiert, glaube ich! An Barthaare kann ich mich nicht erinnern. Das heißt, ich glaube es jedenfalls nicht.«
    »Was für Kleider?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Können Sie sich an irgend etwas sonst erinnern? Einen Geruch, Worte, einen Namen, irgend etwas?«
    »Weiß nicht.« Ihr Blick trübte sich. »Geruch? Was meinen Sie denn damit? Sie haben nach nichts gerochen!«
    »Kein Alkohol?«
    »Nicht, daß ich wüßte. Nein, gerochen habe ich nichts.«
    »Keine Seife?« Kaum hatte er es ausgesprochen, wünschte er, er hätte nichts gesagt. Er legte ihr Dinge in den Mund, auf die sie von allein nicht gekommen wäre.
    »Seife? Ja, könnte schon sein. Komisch, irgendwie…
    anders.«
    Wußte sie, wie Sauberkeit roch? Vielleicht würde es ihr merkwürdig erscheinen, eher etwas, das fehlte, als etwas, das sich ihr sogleich aufdrängte. Ihre Antworten verrieten ihm nicht mehr als die von Nellie West, malten aber in etwa dasselbe Bild: zwei oder drei Männer, die aus einer anderen Gegend in diesen Bezirk gekommen waren und deren Gelüste zunehmend gewalttätig wurden. Sie kannten sich anscheinend immerhin so weit aus, daß sie allein arbeitende Frauen aufgriffen statt der berufsmäßigen Prostituierten, die vielleicht einen Zuhälter hatten, der sie schützte. Sie nahmen die Frauen, die nur gelegentlich auf die Straße gingen, wenn die Zeiten besonders schlimm waren.
    Es war bereits dunkel, als sie fortgingen, und nun blieb der Schnee draußen langsam liegen. Die wenigen intakten Straßenlaternen spiegelten sich als glitzernde Lichtflecken in der feuchten Gosse. Aber Vida hatte nicht die Absicht, schon aufzuhören. Dies war der Zeitpunkt, zu dem sie die Frauen zu Hause antreffen würden, und abgesehen davon, daß sie in Gegenwart ihrer Kolleginnen vielleicht nicht sprechen wollten, hatte Vida nicht die Absicht, gute Arbeitszeit einzubüßen, indem sie ihre Fragen stellte, wenn die Frauen eigentlich auftrennen oder zuschneiden oder nähen sollten. Vida mußte praktisch denken. Außerdem, ging es Monk durch den Sinn, wußte Mr. Hopgood vielleicht nichts von ihrem Feldzug, für den er bezahlte. Möglich, daß er die ganze Angelegenheit keineswegs so persönlich nahm, wie seine Frau es tat.
    Der nächste Besuch galt Carrie Barker. Sie war knapp sechzehn, die Älteste in einer Familie, deren Eltern beide verschwunden oder tot waren. Carrie hatte sich um sechs jüngere Geschwister zu kümmern und mußte auf die eine oder andere Art verdienen, was sie nur konnte. Monk fragte nicht weiter nach. Sie saßen im einzigen großen Zimmer alle zusammen, während sie Vida mit atemloser Stimme durch einen abgebrochenen Schneidezahn erzählte, was ihr zugestoßen war. Eine Schwester, etwa anderthalb Jahre jünger als sie, preßte den linken Arm auf ihren Leib, als hätte sie Schmerzen in Brust und Magen; sie hörte genau zu, was Carrie sagte, und nickte gelegentlich dazu.
    In dem fahlen Licht der einzigen brennenden Kerze war Vidas Gesicht eine Maske des Zorns und des Mitleids, ihre üppigen Lippen waren starr, ihre Augen hell.
    Es war im Grunde dieselbe Geschichte. Die beiden ältesten Mädchen waren draußen gewesen, um ein wenig nebenbei zu verdienen. Dies war offensichtlich die Art und Weise, in der auch das nächste Mädchen, das jetzt fast zehn war, in einem Jahr oder noch eher dafür sorgen würde, daß sie und ihre jüngeren Geschwister Nahrung und Kleidung bekamen. Im Augenblick war sie ganz damit beschäftigt, einen kleinen Jungen von zwei oder drei Jahren geistesabwesend in ihren Armen zu wiegen, während sie dem Bericht ihrer Schwester lauschte.
    Diese beiden Mädchen waren äußerlich nicht so schwer verletzt wie die älteren Frauen, die Monk gesehen hatte, aber ihre Furcht ging tiefer, und vielleicht brauchten sie das Geld noch dringender. Es waren sieben Mäuler zu füttern, und es gab sonst niemanden, der sich um sie gekümmert hätte. Monk verspürte einen solchen maßlosen Zorn, daß er, ob Vida Hopgood ihn nun bezahlte oder nicht, die feste Absicht hatte, die Männer zu finden, die das getan hatten. Er würde dafür sorgen, daß sie so hart bestraft wurden, wie das Gesetz es nur zuließ. Und wenn das Gesetz sich nicht darum scherte, dann würde es andere geben, die das taten.
    Er befragte die beiden vorsichtig und sanft, ließ aber keine Einzelheit aus. Woran konnten sie sich erinnern? Wo war es

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