Stilles Echo
zu zweit oder dritt auf. Irgend jemand wird sich erinnern.«
»Und Sie werden ihn zum Reden bringen«, sagte sie bedrückt, als sei die Erinnerung bitter und erfüllt von Schmerz und Bedauern.
Woher wußte sie soviel über ihn? War es alles Hörensagen, und wenn ja, was hatte sie gehört? Sie befanden sich mittlerweile in den Randbezirken des Gebietes, in dem er als Polizist eingesetzt worden war. Oder hatten sie einander schon lange davor gekannt und besser, als sie es angedeutet hatte? Bei einem anderen Fall, zu einer anderen Zeit? Was wußte sie von ihm, was er selbst nicht wußte? Sie wußte, daß er schlau war und skrupellos. Und sie mochte ihn nicht, aber sie respektierte seine Fähigkeiten. Auf ihre eigene verdrehte Art und Weise vertraute sie ihm. Und sie glaubte, daß er in Seven Dials arbeiten konnte.
Er wollte ihr Vertrauen zu ihm nicht enttäuschen, dringender noch, als wenn sie irgendeine wohlhabende Frau aus besseren Kreisen gewesen wäre. Der Grund dafür lag vor allem in seinem Zorn auf die Brutalität dieser Männer, die Ungerechtigkeit des Ganzen, ihres Lebens und des Lebens dieser Frauen. Aber es war auch Stolz im Spiel. Er wollte ihr beweisen, daß er immer noch der Mann war, der er früher gewesen war. Er hatte nicht seine Fähigkeiten verloren, nur sein Gedächtnis! Alles andere war genau wie früher, nein, besser sogar! Runcorn wußte das vielleicht nicht…
Der Gedanke an Runcorn ließ ihn jäh stehenbleiben. Runcorn war sein Vorgesetzter gewesen. Er war sich immer der Tatsache bewußt gewesen, daß Monk ihm direkt auf den Fersen war, daß Monk die besseren Anzüge, den schnelleren Verstand und die schärfere Zunge besaß, daß Monk stets darauf lauerte, ihn bei einem Fehler zu ertappen!
War es sein Gedächtnis, das zu ihm sprach, oder nur das, was er aus Runcorns Benehmen nach dem Unfall geschlossen hatte?
Dies hier war Runcorns Bezirk. Wenn er diese Verbrecher zu fassen bekam, würde es Runcorn sein, an den er sich mit der Sache wenden mußte.
»Ja«, sagte er laut. »Es könnte schwierig sein, herauszufinden, woher die Männer kamen. Einfacher ist es möglicherweise, herauszufinden, wohin sie gegangen sind. Sie müssen schmutzig gewesen sein, nachdem sie sich mit den Frauen auf dem Pflaster gewälzt haben. Ein oder zwei der Männer waren vielleicht auch leicht verletzt. Diese Frauen haben sich gewehrt, zumindest genug, um zu kratzen oder zu beißen.« In Gedanken sah er nur schattenhafte Gestalten vor sich, aber einige Dinge wußte er doch. »Sie müssen in Hochstimmung gewesen sein, angestachelt sowohl von Triumph als auch von Furcht. Sie hatten etwas Furchtbares getan. Irgendein Echo dessen müßte noch in ihrem Auftreten zu finden gewesen sein. Irgendeinem Droschkenfahrer, irgendwem wird etwas aufgefallen sein. Er müßte noch wissen, wo er sie hingefahren hat, welche Fahrt ihn aus seinem Bezirk weggeführt hat.«
»Ich sagte ja, daß Sie ein schlauer Mistkerl sind«, bemerkte Vida mit einem leisen Seufzer der Erleichterung. »Da ist noch eine, mit der Sie sprechen sollten. Dot MacRae. Sie ist richtig verheiratet, vor dem Gesetz, aber ihr Mann ist nichts wert. Schwindsüchtig, der arme Teufel. Kann nichts tun. Hustet sich die Lunge aus dem Leib. Sie muß arbeiten, und Hemden nähen allein reicht nicht.«
Dot MacRae erzählte ihnen im wesentlichen genau das, was sie bereits gehört hatten. Sie war älter als die anderen, vielleicht vierzig, aber immer noch von gutem Aussehen. Ihr Gesicht hatte Charakter, und ihre Augen verrieten Mut. Und einen hilflosen Zorn. Sie saß in der Falle, und sie wußte es. Sie erwartete weder Hilfe noch Mitleid. Dot erzählte Monk mit einfachen Worten, was vor zweieinhalb Wochen passiert war, als zwei Männer auf einem Hof von zwei Seiten an sie herangetreten waren und sie angegriffen hatten. Ja, sie war absolut sicher, daß es nur zwei gewesen waren. Einer davon hatte sie festgehalten, während der andere sie vergewaltigte, und als sie sich gewehrt hatte, hatten sie beide mit Fäusten und Füßen auf sie eingedroschen, bis sie fast besinnungslos liegengeblieben war.
Percy, ein Bettler, der regelmäßig in einem der Hauseingange dort schlief, hatte sie gefunden und nach Hause gebracht. Er hatte gesehen, daß da etwas ganz und gar nicht stimmte, und alles in seinen Kräften Stehende getan, um ihr zu helfen. Er hatte den Vorfall auch irgend jemandem melden wollen, aber an wen hätten sie sich schon wenden können? Wen scherte es, wenn eine Frau, die
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