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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zusammenwachsen, aber es wird Zeit brauchen. Seine Verletzungen müssen ihm immer noch große Schmerzen bereiten. Das war zu erwarten, und da gibt es nichts anderes zu tun, als es auszuhalten. Sie können ihm mit dem Pulver, das ich Ihnen dagelassen habe, bis zu einem gewissen Grad Linderung verschaffen. Ich werde bei jedem Besuch seine Wunden neu verbinden und dafür sorgen, daß sie sich nicht entzünden. Ich habe eine geringfügige Eiterbildung entdeckt, aber bisher keine Anzeichen für Wundbrand. Ich werde äußerst vorsichtig sein.«
    »Ich mußte gestern abend seine Hände neu bandagieren. Es tut mir leid.« Es widerstrebte ihr, ihm von dem unerfreulichen Zwischenfall mit Sylvestra zu erzählen.
    »Oh?« Wade sah sie wachsam an, und die Sorge in seinen Augen vertiefte sich, aber sie entdeckte in seinem Blick weder Ärger noch Kritik an ihr. »Ich denke, Sie erzählen mir besser, was vorgefallen ist, Miss Latterly. Mir ist bewußt, daß Sie gewiß wünschen, das Vertrauen Ihres Patienten nicht zu brechen, aber ich kenne Rhys schon sehr lange. Einige seiner Charaktereigenschaften sind mir durchaus nicht fremd.«
    Kurz und ohne Einzelheiten zu berichten, erzählte sie Wade von dem Vorfall mit Sylvestra.
    »Ich verstehe«, sagte er ruhig. Er wandte sich ab, so daß Hester sein Gesicht nicht sehen konnte. »Das ist nicht gerade ermutigend. Bitte machen Sie Mrs. Duff keine Hoffnungen. Miss Latterly, ich gestehe, ich weiß nicht, was ich sagen soll! Man sollte niemals einen Fall verloren geben und immer alles tun, was man kann, ganz gleich, wie die Chancen stehen.« Er zögerte, bevor er weitersprach, als kostete es ihn große Anstrengung, seiner Gefühle Herr zu werden. »Ich habe im Krankenzimmer schon Wunder erlebt. Ich habe auch viele, sehr viele Männer sterben sehen. Vielleicht ist es besser, gar nichts zu sagen, wenn Ihnen das möglich ist, obwohl Sie hier im Haus leben?«
    »Ich kann es versuchen. Glauben Sie, daß er seine Sprache wiederfinden wird?«
    Er fuhr zu ihr herum, und seine Augen waren schmal und dunkel und unergründlich.
    »Ich habe keine Ahnung. Aber Sie müssen verhindern, daß die Polizei ihn schikaniert! Wenn die Beamten das tun, stürzen sie ihn nur abermals in einen hysterischen Anfall, und der könnte sein Tod sein.« Seine Stimme klang brüchig und eindringlich. Hester hörte den Unterton der Angst, der darin mitschwang und Ausdruck derselben Furcht war, die sie auch in seinen Augen sah. »Ich weiß nicht, was geschehen ist oder was er getan hat. Aber ich weiß sehr wohl, daß die Erinnerung für ihn unerträglich ist. Wenn Sie ihm seine geistige Gesundheit bewahren wollen, müssen Sie ihn mit jedem Funken an Mut und Intelligenz, den Sie besitzen, bewachen. Sie müssen ihn vor den Versuchen der Polizei, die ihn das Ganze mit ihren Fragen noch einmal durchleben lassen will, unbedingt schützen. Wenn er einer solchen Befragung ausgesetzt würde, könnte ihn das in einen Abgrund des Wahnsinns stürzen, aus dem er vielleicht nie wieder zurückkehrt. Ich habe keinen Zweifel daran, daß, wenn irgend jemand dieser Aufgabe gewachsen ist, Sie das sind.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte sie schlicht. Es war ein Kompliment, das ihr viel bedeutete, denn es kam von einem Mann, der keine leeren Worte machte.
    Wade nickte. »Ich werde jetzt zu ihm gehen. Wenn Sie so freundlich sein wollten, dafür zu sorgen, daß man uns nicht stört? Ich muß nicht nur seine Hände untersuchen, sondern auch seine anderen Verletzungen, um mich zu versichern, daß er die frischverheilte Haut nicht wieder aufgerissen hat. Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Fürsorge, Miss Latterly.«
    Am nächsten Tag empfing Rhys zum ersten Mal seit dem Unglück einen Besucher. Es war früh am Nachmittag. Der Tag war beträchtlich heller als der vorangegangene. Auf den Dächern lag Schnee, der das Licht eines windgepeitschten Himmels und der bleichen Wintersonne zurückwarf.
    Hester war gerade oben, als es an der Tür klingelte und Wharmby einer Frau von ungewöhnlichem Aussehen die Tür öffnete. Sie war von durchschnittlicher Größe und hatte einen hellen, wenig bemerkenswerten Teint, aber ihre Gesichtszüge waren kräftig, sehr asymmetrisch und strahlten doch ungewöhnliche Entschlossenheit und Gelassenheit aus. Sie war gewiß nicht schön, aber sie vermittelte eine Herzlichkeit, die beinahe noch attraktiver war als äußerliche Schönheit.
    »Guten Tag, Mrs. Kynaston«, sagte Wharmby mit offensichtlicher Freude. Dann sah er den jungen

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