Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
selbst kaufen.«
    Sylvestra stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie wandte sich an Fidelis.
    »Ich bin dir ja so dankbar, daß du gekommen bist. Es ist nicht immer einfach, Menschen zu besuchen, die krank sind oder in Trauer. Man weiß nie, was man sagen soll.«
    »Meine Liebe, was für ein Freund wäre man denn, wenn man in dem Augenblick, in dem man wirklich gebraucht wird, lieber anderswo wäre? Ich habe nie erlebt, daß du selbst dich so verhalten hättest!« versicherte Fidelis ihr, während sie sich vorbeugte.
    Sylvestra zuckte die Achseln. »Es gab bisher für mich so wenig Gelegenheit…«
    »Nein, nichts Derartiges«, pflichtete Fidelis ihr bei. »Aber es hat allerhand Unannehmlichkeiten gegeben, auch wenn im großen und ganzen nicht darüber geredet wurde, und du hast gespürt, was los war. Und du bist immer dagewesen.«
    Sylvestra lächelte bestätigend.
    Die Unterhaltung wandte sich allgemeineren Themen zu, nebensächlichen Ereignissen, Familienangelegenheiten. Sylvestra erzählte von den letzten Briefen aus Indien von Amalia, die von den Ereignissen in London natürlich noch nichts wußte. Amalia schrieb von der Armut, die sie dort sah, vor allem von den Krankheiten und dem Mangel an sauberem Wasser, ein Thema, das ihr sehr nahezugehen schien. Hester wurde so weit in das Gespräch mit einbezogen, wie es der gute Ton notwendig machte. Dann fragte Fidelis Hester nach ihren Erfahrungen auf der Krim. Ihr Interesse schien durchaus echt zu sein.
    »Es muß ein ganz merkwürdiges Gefühl für Sie sein, nach all den Gefahren und der großen Verantwortung Ihrer Position dort nun wieder in England zu sein«, sagte sie mit gefurchter Stirn.
    »Es war schwierig, meine Einstellung zu den Dingen zu ändern«, gab Hester zu. Das war eine gewaltige Untertreibung, da ihr das im Grunde bis auf den heutigen Tag vollkommen unmöglich gewesen war. Sie hatte mit sterbenden Männern, furchtbaren Verletzungen und Entscheidungen über Leben und Tod zu tun gehabt, und einen Monat später schon verlangte man von ihr, sich wie ein gehorsamer und dankbarer Dienstbote zu benehmen, der zu keinen wichtigeren oder umstritteneren Themen als Kleidersäumen oder Pudding eine eigene Meinung zu haben hatte!
    Fidelis lächelte, und in ihren Augen blitzte ein Funke der Belustigung auf, als hätte sie eine Ahnung, wie es in Wahrheit aussah.
    »Haben Sie schon Dr. Wade kennengelernt? Aber ja , natürlich. Er hat viele Jahre lang in der Marine gedient, wußten Sie das? Ich könnte mir denken, daß Sie einiges mit ihm gemeinsam haben. Er ist ein überaus bemerkenswerter Mann von großer Entschlossenheit und Charakterstärke.«
    Hester erinnerte sich an Corriden Wades Gesicht, als er auf dem Treppenabsatz stand und ihr von den Seeleuten erzählte, die er gekannt hatte, den Männern, die unter Nelson gekämpft hatten.
    »Ja«, sagte sie mit überraschendem Nachdruck. »Ja, das ist er. Er hat mir ein wenig von seinen Erfahrungen erzählt.«
    »Ich weiß, daß mein Gatte ihn sehr bewunderte«, bemerkte Sylvestra. »Er hat ihm zwanzig Jahre sehr nahe gestanden. Am Anfang kannten sie sich natürlich noch nicht so gut. Das war in der Zeit, bevor er endgültig an Land kam.« Einen Augenblick lang nahm ihr Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck an, als sei ihr etwas anderes eingefallen, etwas, das sie nicht verstand. Dann war der Eindruck verflogen, und sie wandte sich wieder an Fidelis. »Es ist schon merkwürdig, wie viele Dinge im Leben eines anderen Menschen man nicht mit ihm teilen kann, auch wenn man ihn jeden Tag sieht und über alles Mögliche mit ihm redet und ein Heim und eine Familie gemeinsam hat, ja, sogar ein gemeinsames Schicksal. Und doch ereigneten sich die Dinge, die Leighton in seinem Denken und Fühlen sehr geformt haben, alle an Orten, die man selbst nie gesehen hat. Dinge, die sich von allem unterscheiden, was man selbst je erlebt hat.«
    »Ja, da hast du wohl recht«, entgegnete Fidelis langsam, während ihre hellen Augenbrauen sich kaum merklich zusammenzogen. »Man kann so vieles mit ansehen, ohne es jemals zu verstehen. Wir haben scheinbar dieselben Erlebnisse, aber wenn wir später darüber sprechen, sind es zwei vollkommen verschiedene Erinnerungen, und es ist, als sprächen wir gar nicht über denselben Vorfall. Früher habe ich mich immer gefragt, ob es einfach eine Sache des Gedächtnisses sei. Jetzt weiß ich, daß es im Grunde vor allem um unterschiedliche Wahrnehmung geht. Das ist wahrscheinlich ein Teil des

Weitere Kostenlose Bücher